17. Juni 2016

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„Keine gute Idee!“, sagt er und schiebt mich aus der Küche, ehe ich ganz drin bin.
„Warum nicht?“
„Willst du meiner Freundin einen Schrecken einjagen?“
Ach so, die ist auch da. Na, war ja klar. „Wieso, weil ich nix anhab?“
„Weil du nichts anhast und dazu halbtot aussiehst.“
„Aber ich hab Durst.“
„Warte hier.“
Er kehrt mit einem Glas Wasser zurück, in dem sich sprudelnd eine Tablette auflöst. In der anderen Hand hat er eine Wasserflasche.
Ich trinke aus.
„Geh wieder ins Bett.“
„Nee. Wir sind doch heute beim Sender eingeladen. Wie viel Uhr ist es eigentlich?“
„Gleich elf. Das Interview war vor einer Stunde. Merle und ich waren da, wir haben dich anständig vertreten, denke ich. Wir haben auch bekannt gegeben, dass wir eine vakante Stelle haben. Vielleicht meldet sich ja jemand.“
„Vakant?“
„Frei. Unbesetzt.“
Ach so. Jetzt fällt mir alles wieder ein. Nieke hat uns verlassen.
In der Zwischenzeit hat er mir noch mehr Wasser eingeschüttet und ich trinke es wieder aus. Dann hilft er mir auf die wackeligen Beine und begleitet mich in mein Zimmer. Als ich im Bett liege, hockt er sich zu mir und fragt: „Was ist passiert zwischen dir und Nieke?“
Weil ich nichts sage (ich weiß es doch selber nicht), redet er weiter: „Merle und ich haben uns wirklich Hoffnungen gemacht, was euch betrifft. Ihr habt viel Zeit miteinander verbracht und es sah alles sehr gut aus. Und auf einmal ist sie wochenlang seltsam drauf und hat dir nicht gesagt, was los ist, sagst du. Aber kaum kündigt sie der Band, besäufst du dich dermaßen? Erklär es mir, Bruder.“
Ich wackele mit den Schultern.
Er streicht mir über den Kopf und wünscht: „Schlaf dich aus.“
„Mir ist kalt.“
„Ich bringe dir ein paar heiße Körnerkissen.“
„Geht ihr weg?“
„Ich bleibe hier.“
„Hast du mich aus der Kneipe abgeholt?“
„Ja.“
„Wie hast du mich denn gefunden?“
„Ein Kollege aus der Bäckerei war da. Er hat mich angerufen.“
„Du, Miloš … du bist mein allerbester Freund.“
„Und du bist immer noch besoffen.“ Er zieht das Rollo herab und geht aus dem Raum.

Es ist ausschließlich Doktor Miloš’ Fürsorge zu verdanken, dass ich heute wieder frisch in der Schule aufkreuzen konnte. Den ganzen Sonntag lang war mir so elend!
Wir haben uns schon gestern Abend voneinander verabschiedet, sie sind um vier nach Schiphol aufgebrochen; Polly hat sie abgeholt. Man fliegt zwei Stunden von Amsterdam nach Zagreb. Wenn die bosnischen Grenzer einen zügig durchlassen, kann man es in drei Stunden bis Peckovar schaffen. Macht mit dem Einchecken am Flughafen sechs Stunden. Und der Flug ist auch gar nicht so wahnsinnig teuer.(388) Wenn nur diese Flugangst nicht wäre!

„Grietje, hast du ein bisschen Zeit für mich?“, will ich zu Beginn der Mittagspause wissen, als wir gerade mal alleine im Raum sind.
„Solange du nicht wetten willst, freu ich mich immer, wenn ich dir helfen kann.“
„Also, das ist so.“ Wie fange ich am besten an? „Es geht um die Nieke. Die war in letzter Zeit total komisch. Früher haben wir ganz viel zusammen unternommen, waren essen und ins Kino und so weiter, und dann war sie ein paar Wochen lang ganz seltsam“, versuche ich es ausführlich zu machen, damit sie nicht hundertmal nachfragen muss. „Ich hab sie gefragt, was mit ihr los ist, warum sie keinen Bock mehr hat auf Kino und so. Ihr ist nicht gut, hat sie gesagt. Bist du krank?, hab ich sie gefragt. Einmal im Monat habt ihr Frauen das ja mal, aber ständig? Nein, hat sie gesagt, sie ist nicht krank. Ich hab sie gefragt, wann wir mal wieder was unternehmen. Sie hat sagt, dass sie keine Zeit hat. Ist Stress in der Firma, hab ich sie gefragt. Nein, hat sie gesagt, da läuft alles normal. Und so ging das nur. Manchmal ist sie mir richtig sichtbar aus dem Weg gegangen. Ich dachte, wir wären Freunde und könnten über alles reden. Ich wollte diese Woche mit ihr reden, der Miloš ist ja gerade nicht da, also gibt’s keine Ablenkung. Ja. Und dann hat sie drei Sekunden nach dem Auftritt vom Samstag Schluss gemacht. Also mit der Band. Gekündigt. Und keinem hat sie erklärt, warum. Kannst du mir das erklären?“
Grietje mustert mich.

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