17. Juni 2016

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„Aber ich kann es nicht singen“, merkt Miloš an, „Ich kenne das Lied nämlich nicht.“
„Okay, dann führe ich.“
Er gibt mir die Gitarre und stellt stattdessen seinen Bass auf den Ständer.
Als Simone uns damals verlassen hat, hat Lisanne prophezeit, dass wir – solange die Chemie stimme – sogar Kinderlieder spielen könnten und das Publikum würde ausrasten. Genau das passiert nach den ersten zwei Zeilen, die wie folgt klingen:
Twee emmertjes water halen,
twee emmertjes pompen …
Die Leute klatschen, hüpfen herum, einige machen eine Polonaise, andere halten sich an den Händen, bilden Tunnel und lassen weitere Leute drunter her laufen, die sich am Ende des Tunnels anstellen und den Spaß über den ganzen Platz vor der Bühne vorwärts treiben.
Wir lassen ihnen drei Durchgänge, um sich auszutoben und kehren dann zur seriösen Musik zurück, nachdem wir Grietje (die mir „Wir sprechen uns noch!“ androht) mit großem Jubel verabschiedet haben.

Wie bei jedem Auftritt haben wir auch heute ein neues Lied dabei.
Es heißt Волим те, das ist serbisch und heißt „ich liebe dich“. Miloš hat es vor zwei Wochen für Merle geschrieben, und es ist das fetzigste Liebeslied, das ich bis dahin gehört hatte. Er hat es Zeile für Zeile übersetzt; er zählt nur auf, was er an ihr liebt. Er liebt ihr Gesicht, er liebt ihre Augen, er liebt ihren Mund, der so schöne Dinge sagen kann. Er liebt dies, er liebt jenes, er liebt alles – die Strophen sind kurz, der Refrain ist einfach und lädt zum Mitgrölen ein, auch wenn man gar kein Wort versteht. Ein Gassenhauer.
Wäre unser Publikum nicht schon in Schwung gewesen, hätten wir es hiermit bestimmt auf Touren bringen können.

Tja, und dann ist unsere halbe Stunde um und wir verlassen die Bühne, obwohl lautstark und ausdauernd nach mehr verlangt wird.
Meine Bedenken waren berechtigt, sie wollen uns nicht gehen lassen, die Zugabe!-Rufe verstummen nicht. Auch als der erste Contest-Teilnehmer auf der Bühne steht, ist immer noch Unruhe. Die Jurymitglieder haben die Situation leider überhaupt nicht im Griff.
Ein Pulk skandiert ständig unseren Namen, ein anderer tanzt weiter Polonaise und singt „Twee emmertjes“.
„Das ist ja so total scheiße“, stellt Merle fest. „Die Leute wollen was anderes hören und die Mädels hier auf der Bühne haben nur zehn Minuten Zeit. Und keine Chance.“
Jetzt kommt auch ein Jurymitglied zu uns. Der Mann sieht schon ziemlich genervt aus. „Ich weiß nicht, was ihr angefangen habt, aber hört damit auf. Bringt die Leute zum Schweigen. Wir wollen hier unseren Contest machen.“
„Dürfen wir vielleicht danach wieder auf die Bühne und noch eine Stunde spielen?“, kommt mir eine Idee.
„Was ihr nach dem Contest macht, ist mir egal. Ihr könnt so viel Blödsinn machen wie ihr wollt oder bis die Stadt irgendwann den Strom abdreht. Aber“, er klopft Merle auf den Arm, die er offenbar für den Bandchef hält, „solange unser Contest läuft, bändigt ihr eure Fans!“
Miloš schiebt die Hand beiseite. Ich verspreche: „Tun wir“, und weise zur Bühne hin: „Kriegen die Damen noch fünf Minuten dazu?“
„Von mir aus!“
Weil gerade eine Pause zwischen zwei Liedern entstanden ist, nutze ich die Gelegenheit und laufe auf die Bühne. „Darf ich mal?“, frage ich die Sängerin und zeige auf ihr Mikro.
Die hebt die Schultern und lässt mir den Vortritt.
Ich nehme es aus der Halterung und wende mich an unsere lauten Fans: „Liebe Leute, ich hab ein Angebot für euch. Ihr haltet Ruhe, bis der Contest vorbei ist – übrigens ist das der Grund, weshalb wir alle hier versammelt sind, falls ihr das vergessen haben solltet – und wenn das gut klappt, gibt es hinterher Zugabe von uns.“
Beifall brandet auf.
Allerdings glaube ich nicht, dass das schon reicht. Ich kehre meine Bandchefautorität heraus: „Wenn wir Lärm hören, der nicht zum Contest gehört, gibt es keine Musik von uns. Benehmt euch gefälligst. Wir haben auch mal klein angefangen, mit einer Handvoll Fans, und die Chance brauchen die Mädels hier genauso.“
Noch mehr Beifall.
Zu den drei jungen Frauen sage ich: „Ihr habt fünf Minuten mehr. Ich habs mit der Jury abgesprochen.“
„Danke.“

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