17. Juni 2016

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„Merle“, unterbreche ich. „Wir machen es.“
Finster mustert sie mich. „Ist das hier so ein Bandchef-Autoritäts-Ding?“
„Jep.“
„Verdammt, meinetwegen!“, schnauzt sie mich an.(384)
„Nach „Son of God“ kehren wir zur Setliste zurück“, legt Miloš den Ablauf neu fest. „Das zweite Lied bleibt das zweite Lied und so weiter. „Come as you are“ kommt dann irgendwann später, ich kündige es an. Alles klar?“
„Ja“, beschließe ich stellvertretend für die anderen und scheuche sie zum Bühneneingang.


zweihundertfünftes Kapitel

Ich gebe den Rhythmus vor, Nieke übernimmt den Klavierpart des Originals, Miloš den der E-Gitarre. Mittlerweile nutzt er so viele Effektgeräte, dass er mehrere Bands versorgen könnte. Merle legt einen heißen Tanz mit dem Mikroständer hin und wartet auf ihren Einsatz.
Auf einmal kommt mir der Verdacht, dass das mit der Betriebstemperatur keine so gute Idee von den Veranstaltern war. Was, wenn die Bands und Interpreten nach uns eher ruhige Musik machen wollen? Vor der Bühne hüpft unser Fanclub und macht mächtig Stimmung. Wahrscheinlich werden sie uns nach nur einer halben Stunde nicht gehen lassen wollen – da sind sie ja anderes gewöhnt.
Miloš tritt zu mir ans Schlagzeugpodest. „Grietje ist auch da“, ruft er mir ins Ohr. „Sie bekommt noch eine Überraschung von uns. Sollen wir sie gleich auf die Bühne holen?“
Ich nicke, denn das Headset ist angeschaltet, jeder würde meine Antwort hören.
Merle hat die erste Strophe durch, er verfügt sich an sein Mikro und wir singen mit: „You are the son of god!“
Zielgruppe hin, Siebziger her, es funktioniert einwandfrei. Danke Jesus!
Wo Ian Anderson danach mit dem Querflötensolo eingesetzt hätte, ist wieder Nieke an der Reihe. Ich wusste nicht, dass man so mit einer Geige umgehen kann. Überwältigend.
Es stellt sich heraus, dass Miloš’ Ansage nicht stimmt. Das zweite Lied der Liste ist nicht das zweite Lied, sondern es ist meine Version von „Come as you are“. Aber Merle nimmt es gelassen. Sobald sie auf der Bühne steht, ist sie durch nichts mehr aus der Ruhe zu bringen. Sie liebt die Bühnenkante, wo alle Augen auf sie gerichtet sind, denn sie war fast ihre ganze Kindheit die Kleinste(385), die sich irgendwie bemerkbar machen musste.
Nach dem Lied gehe ich nach vorn und wende mich ans Publikum. „Das Lied sagt, dass jeder kommen kann, wie er ist, sich niemand verstellen muss. Wir wollen jetzt mal mit euch ausprobieren, wie locker ihr seid. Zur Unterstützung haben wir fürs nächste Lied einen Special Guest eingeladen. Einen Applaus für Grietje de Kock!“
Ich höre sie bis hier hin quieken: „Das ist nicht euer Ernst!“
Während sie unter Gelächter und Rufen zu uns herauf kommt, erkläre ich den Freunden, was wir vorhaben: „Gleich stimmen wir „Twee emmertjes“ an und sie darf mitsingen. Natürlich verwenden wir nicht unsere normalen Instrumente, sondern machen Kinderkrach!“
„Wieso lässt du sie nicht alleine singen?“, fragt Merle. „Das Lied kennt doch jeder.“
„Weil sie unser Gast ist und wir sie nicht in die Pfanne hauen wollen. Außerdem, was machst du dann die ganze Zeit?“
„Ich könnte mal die Harmonika bedienen, dachte ich“, sagt sie. „Zugleich tröten und singen geht ja nicht.“

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