17. Juni 2016

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„Das weiß ich auch nicht“, grinst er. „Nach dem Urlaub muss ich noch mal hin, dann werden die Konturen nachgearbeitet. Wahrscheinlich gibt das zuhause große Diskussionen. Die wissen nämlich noch nichts davon, dass ich kein Bosnier mehr bin.“
„Wieso nennst du Peckovar auf einmal zuhause?“
„Wer behauptet denn so etwas?“
„Du hast gerade gesagt, dass es zuhause wahrscheinlich große Diskussionen geben wird.“
„Ach so. Ich meine nicht Peckovar, sondern Dragans Haushalt. Das ist mein bosnisches Zuhause. Warum fragst du da gleich so nervös nach?“
„Ich frage nicht nervös nach, sondern erstaunt. Warum hast du Dragan nichts von der Staatsangehörigkeitssache erzählt? Du denkst ja schon ziemlich lange darüber nach und in der Zeit waren wir zweimal in Peckovar.“
„Ich hatte keine Lust, ihm vorher meine Beweggründe zu erklären. Jetzt sind es Tatsachen, ich werde es nicht zurück nehmen. Nicht wollen und nicht können, was das hier betrifft.“ Er zeigt auf seinen Arm.
„Deswegen hast du das Tattoo vor dem Urlaub machen lassen. Als sichtbares Zeichen.“
„Ja. Ich habe ein bisschen Angst davor, dass mich einer anspricht, ob ich mich in der Reihenfolge der Farben vertan habe. Das wäre peinlich.“
„Wieso Reihenfolge der Farben? Bosnien hat doch blau und gelb?“
„Jeremy!“, klagt er mit verdrehten Augen, „nicht Bosnien! Srpska!“
„Aber du hast doch gerade noch gesagt, dass du kein Bosnier mehr bist!!“
„Vergiss es“, wehrt er ab, „Denk bitte nicht mehr darüber nach. Gut, dass ich endlich Niederländer bin. Du hättest es nie kapiert.“
Ich sage nichts zu meiner Verteidigung, denn er hat seine Meinung ja schon gefasst. Allerdings habe ich den Verdacht (und den nicht erst seit gestern), dass er diese Nationalität-Herkunft-Geschichte immer so gedreht hat, dass meine Antwort genau die falsche war.
„Mal eine andere Frage: Willst du dir nicht auch ein Tattoo stechen lassen? Ich würde gerne eins für dich entwickeln.“
Ich hebe die Schultern. „Mit welchen Muskeln soll ich so eine Flagge denn bewegen?“
„Ich sagte doch, ich würde gerne eins für dich entwickeln. Eins, das zu dir passt.“
„Aha. Na ja, lass mal.“
„Warum nicht?“
Ich schaue zur Uhr, „Wir müssen.“

Zugleich mit Nieke und Merle treffen wir hinter den Aufbauten ein. Wir bilden einen Kreis und ich fange an zu beten: „Jesus, ich danke dir, dass du uns diesen Auftritt möglich gemacht hast. Vor allem danke ich dir, dass wir uns keinen Bassisten ausleihen mussten, sondern dass Miloš endlich wieder gesund ist und genauso Tempo macht und rockt wie früher. Mach uns stark, damit wir uns auf die Musik konzentrieren können. Segne bitte, was wir vorbereitet haben oder sag uns, was wir sonst tun sollen. Bewahre uns auf der Bühne und gib uns Gunst bei den Leuten, auch wenn wir nicht am Contest teilnehmen. Wir machen das hier nicht für einen Plattenvertrag oder wegen unserem irrsinnigen Talent, sondern wir wollen von dir erzählen. Das wollen wir auch morgen auf der Bühne am Rathaus tun. Aber das geht nur, wenn du uns hilfst. Segne auch die anderen Musiker, dass sie zeigen können, worauf sie sich vorbereitet haben. Gib ihnen allen eine gute Zeit, auch wenn nur einer gewinnen kann.“
„Amen“, schließen die drei sich an und unser Kreis löst sich.
Miloš zieht die blaue Jacke aus, hängt sich den Bass um und stimmt noch mal. Auf einmal sagt er: „Wir sollten nicht mit deinem „Come as you are“ anfangen.“
„Warum nicht?“, will ich wissen.
„Wir haben abgestimmt. Wir waren alle dafür“, erinnert Merle.
„Warum sollten wir es nicht spielen?“, wiederhole ich.
„Weil du gebetet hast, dass Jesus sagen soll, was wir sonst tun sollen. Ich glaube, er sagt, „Son of God“ ist besser für den Anfang.“
„Aber das da draußen ist die falsche Zielgruppe für das Lied!“
„Trotzdem.“
„Aber was ist, wenn du dich irrst und er was ganz anderes gesagt hat? Woher weißt du eigentlich, dass Gott es war?“
„Ich kenne seine Stimme.“
Solange er keinen anderen Beweis hat als Gewissheit und sie kein anderes Argument als Zweifel, können sie jahrelang ergebnislos weiter diskutieren. Dafür ist jetzt keine Zeit.
„Aber wenn–“

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