17. Juni 2016

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Die Bühne ist auf dem Parkplatz eines großen Supermarktes aufgebaut. Rundherum befinden sich allerhand Stände mit Essen und Trinken, und an einem mit großem Grill treffe ich Miloš, der ein Steak mit reichlich Fritten und noch mehr Soße verzehrt. Einladend schiebt er mir den Teller hin und ich nasche ein paar trockene Fritten. Die Soße will ich lieber nicht riskieren, auch wenn sie gut riecht. „Wir können aber auch woanders hingehen, dann nehme ich das hier mit.“
„Lass nur. Bestimmt wirst du später noch mal Hunger kriegen, ich esse dann was.“(383) Dabei fällt mir auf: „Warum trägst du dieses Dings?“ Ich weise auf seine knallblaue Kapuzenjacke. Die muss er neu haben, ich habe sie noch nie in der Wäsche gehabt. Ein Stück mit der Farbe wäre mir wohl aufgefallen! Drunter trägt er ein weißes T-Shirt.
„Merle hat es mir geschenkt. Und das Shirt auch. Sie meint, ich darf jetzt weiß tragen, weil ich selber nicht mehr so weiß bin.“
„Aber es hat lange Ärmel! Und jetzt ist Sommer!“ Du wolltest doch nicht mehr frieren, lautet der Vorwurf zwischen den Zeilen.
„Du trägst heute auch lange Ärmel“, entgegnet er mit Blick auf mein schwarz-gelb-grün kariertes Hemd.
„Weil ich ein normales Temperaturempfinden habe und du hast keins.“
„Siehst du. Hätte ich eins, säße ich hier sicher mit geschlossenem Reißverschluss, weil es ja so schrecklich kalt ist.“
„Bäh.“
„Ich wollte einfach nicht bis zum Winter warten, bis ich die Jacke trage. Wenn ich dich damit beruhigen kann: vor dem Auftritt ziehe ich sie aus.“
„Oh, danke, das beruhigt mich tatsächlich.“
„Übrigens war ich heute früh beim Tätowierer.“
„Wolltest du nicht erst im Herbst zum Allergietest, bevor du dir ein neues stechen lässt?“
„Das ist eine andere Geschichte.“
„Aha. Du hast also dein restliches Geld genommen, was nicht für den Flug nach Zagreb drauf gegangen ist, und jetzt bist du ein Bild reicher und ansonsten pleite. Ja?“
„So ist es“, lacht er. „Willst du es sehen?“
„Klar.“
Er wischt sich die Finger an der Papierserviette ab und zieht die Kapuzenjacke aus. Das vermeintliche T-Shirt hat übrigens keine Ärmel.
Zu sehen ist ein Ornament, das wie eine Kette um den Oberarm hängt. Daran baumelt eine Flagge mit niederländischem Wappen, die fast bis zum Ellbogen reicht. Die Haut rund um die frische Tätowierung ist geschwollen und gerötet, was den Gesamteindruck kaum stört.
„Cool“, sage ich. „Aber sag mal, täusche ich mich oder hast du jetzt viel mehr Muskeln als früher? Oder denk ich das nur, weil du zwischendurch so dünn geworden warst?“
Er grinst geschmeichelt. „Es sind mehr. Ich habe sie speziell trainiert. Es war die beste Gelegenheit dafür, weil ich ohnehin alles neu aufbauen musste.“
„Was sagt Merle dazu?“
Er grinst noch mehr. „Die geht da voll drauf ab.“
Ich pfeife durch die Zähne. Schenkt sie ihm womöglich langärmelige Sachen, weil noch nicht September ist?
„Aber das beste hast du ja noch gar nicht gesehen. Pass mal auf.“ Er spannt die Muskeln an und ich sehe, dass die Kette genau die Grenze zwischen zwei Muskeln betont. Der Arm sieht jetzt noch muskulöser aus.
„Krass! Wo hast du das Bild gefunden? Es passt genau auf deinen Arm!“
„Natürlich passt es, was denkst du? Ich habe es nicht gefunden, sondern entworfen.“
Übertrieben klopfe ich mir vor die Stirn. „Wie konnte ich nur annehmen, dass du dich beim Tätowierer mit irgendeinem Bilderbuch abgibst?“

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