16. Juni 2016

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„Nein.“
„Nicht?“
Sie verdreht die Augen. „Wenn ich es dir doch sage!“
„Okay, dann wird heute dein erstes Mal sein.“
Merle prustet los. „Sollen wir euch dabei alleine lassen?“
Ich schicke ihr einen finsteren Blick zu, den sie ihrer Reaktion folgend sehr gut versteht. Aha, Miloš hat es ihr gesagt, dass ich nicht verkuppelt werden möchte! Immerhin in diese Richtung funktioniert die Kommunikation.
„Du müsstest allerdings die Schuhe ausziehen an Deck. Die Absätze hinterlassen Dellen in den Planken. Du kannst meine Sandalen haben, wenn du nicht barfuß laufen willst.“


zweihundertzweites Kapitel

Nachdem wir ein paar Mal zu Sightseeing-Zwecken vor der Stadt hin und her gefahren sind, holt Miloš aus der Kajüte zwei Isomatten, die er für die gähnende Herzdame und sich im Bug ausbreitet.
„Da ist noch eine“, sage ich zu Nieke, „leg dich dazu.“
„Wenn ich mich zu ihnen lege, sehe ich Wolken und den Himmel. Ungefähr so, wie wenn ich bei meinen Eltern im Garten liege. Dafür muss ich kein Schiff betreten.“
„Stimmt“, mache ich und betrachte mal wieder ihre Füße. Sie sieht etwas verunstaltet aus mit dem schicken schwarzen Rock und den ollen Schlappen. Gar nicht ihr Stil.
„Guck bitte woanders hin.“
„Zieh die Sandalen aus.“
„Dann reiße ich mir Löcher in die Strumpfhose.“
„Zieh die auch aus.“ Ein anderer Segler kreuzt unseren Kurs, wir winken uns zu.
„Nein, das geht nicht.“
„Mach schon, ich gucke weg.“
„Auf gar keinen Fall.“
„Es wird keiner vor Schreck über Bord gehen.“
„Das ist ja total beruhigend.“
„Na los, zieh dich da drinnen um. Du kannst auch eine Shorts von mir anziehen. Wenn du die Koje hochklappst, findest du ein paar Klamotten von mir. Nimm dir einfach was. Oben drüber ist ein kleines Regal, in dem eine Tube Sonnencreme von Merle liegt. Und wenn die beiden dumme Sprüche machen, können sie nach Hause schwimmen.“
Sie verschwindet in der Kajüte. Nach angemessener Zeit erscheint sie wieder – aber nicht in Shorts, sondern in meiner weiten weißen Feiertagsseglerhose, die sie unten umgeschlagen hat, damit sie nicht drauf tritt. Zu dieser Hose gehört traditionell ein blauweiß gestreiftes Hemd, auf das sie aber verzichtet hat.
„Ist das so schlimm für dich, wenn einer deine Beine sieht?“, wundere ich mich. Ihre Füße haben diesen Sommer noch keinen Sonnenstrahl abbekommen.
„Ja.“
„Du liebe Zeit, was hast du denn dran? Schwarze Beulenpest?“
Sie murmelt etwas mit gesenktem Kopf.
„Was hast du gesagt?“
Der Wind weht ihre zarten Worte weg, bevor sie bei mir ankommen. „Hast du das schon wieder alles vergessen, was der Miloš dir gesagt hat? Sei nicht so schüchtern!“
Sie hebt den Kopf und hat nasse Augen. „Es geht nicht um Schüchternheit.“
Ich schalte einen Gang zurück. „Sag schon. Was ist los?“
„Ich habe Krampfadern.“
„Schwarze Beulenpest fände ich schlimmer.“
„Du bist gemein! Du weißt ja nicht, was das bedeutet!“
Au weia. Was habe ich da angerichtet? Als Mentaltrainer wäre ich völlig ungeeignet. Jetzt laufen ihr nämlich die Tränen runter.
„Entschuldige bitte, ich weiß es tatsächlich nicht. Marjorie hat auch welche, und die macht sich nichts daraus, deswegen dachte ich, es wäre nicht schlimm.“

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