Romina hat uns beobachtet. „Wir sehen uns Sonntag?“, fragt sie Nieke.
„Auf jeden Fall. Ach, Jeremy, kann sie zur Probe kommen?“, fällt ihr ein.
„Nee. Der Miloš ist noch nicht fit, da will ich im Proberaum nur die Band haben.“ Klang das zu unfreundlich? „Nichts gegen dich, ja?“
„Ich versteh dich schon“, beruhigt sie mich.
hundertsiebenundneunzigstes Kapitel
Er singt wunderschön, aber muss er das mitten in der Nacht tun?
„Jeremy, wach auf, Jeremy, wach auf!“, singt er mir ins Ohr. „Wach auf, wach auf! Die Vöglein, sie singen den ganzen Tag schon!“
Ich drehe mich weg.
Er rückt hinterher und fängt die nächste Strophe an. Die Melodie ist, überaus passend für Ende Mai, „The First Noël“.
„Was ist mit deinem einen Ei passiert?“
„Redest du im Schlaf?“, unterbricht er sich, „oder bist du schon wach?“
Ich öffne die Augen. „Wie soll ich bei dem Gequietsche pennen?“
„Was hast du da von Eiern gesagt? Willst du Rührei?“
Ich winke ab. „Wer Tenor singt, hat keine Eier. Der Bariton hat immerhin eins.“
„Das sagst du, weil du Bass singst.“
„Klar. Bass ist besser. Gerade hast du jedenfalls gejault, dass man sich um das eine Sorgen machen muss.“
„Nein, mach dir keine Sorgen“, lacht er. „Alles ist in bester Ordnung. Willst du sehen?“
„Bitte nicht.“ Ich schaue zur Uhr und seufze tief. Drei nach acht. Und das am Samstag! „Was willst du?“
„Da du schon wach bist, könnten wir zusammen frühstücken.“
Ich seufze noch einmal.
Als ich am reichhaltig gedeckten Frühstückstisch angekommen bin, legt er den Comic weg(366) und strahlt mich an. „Guten Morgen!“
Unausgeschlafen oder nicht, ich kann nicht anders, ich muss mitstrahlen. Gegen dieses Gute-Laune-Bündel ist kein Kraut gewachsen. Und eigentlich ist ja auch egal, dass er mit sechs Stunden Schlaf pro Nacht auskommt und ich (gerade am Wochenende) gerne neun hätte, denn: er ist wieder hier. Wir fangen an zu essen.
Ziemlich bald fragt er: „Darf ich heute spazieren gehen?“
„Wo willst du hin?“
„Nach Wilhelminakerk.“
„Das ist viel zu weit weg. Vierzehn Kilometer! Du wirst stundenlang unterwegs sein.“
„Nach Haringsvliet.“
„Vergiss es. Du kannst zu Merle und zurück gehen.“
„Aber das ist ja gar nicht weit“, mault er.
„Für heute reicht das.“
„Gehst du einkaufen?“
„Ja. Du kannst natürlich auch mitkommen.“
„Anstelle spazieren gehen oder zusätzlich?“
„Will ich mit dir um jeden Meter verhandeln? Nein, will ich nicht.“
Er seufzt. „Entschuldige, Jeremy. Ich will nicht verhandeln. Und ich will dich auch nicht nerven. Es ist nur … ich habe so viel auf dem Sofa gelegen und gelesen … ich habe alle Bücher durch. Und die ganze russische Bibel und das niederländische Alte Testament.“
Ich unterbreche: „Deswegen guckst du auf einmal meine Bildchenhefte an!“
Er winkt ab. „Es macht keinen Spaß mehr.“
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