Ich setze mich aufrecht hin, worauf hinter mir jemand zischt: „Ich seh nichts mehr!“
Warum sollte es dir besser gehen als mir? Aber das sage ich natürlich nicht, sondern beuge ich mich mehr nach links – was nichts bringt – und versuche es in der anderen Richtung.
„Machst du Sitzgymnastik oder willst du kuscheln?“, fragt Nieke belustigt.
„Weder noch. Ich seh nichts mehr.“
„Der Film hat ja noch gar nicht angefangen.“
„Nee, aber gleich, und dann seh ich nichts. Ich will doch hinterher, wenn ich aus dem Kino gehe, mehr über Herrn Bernstein wissen, als dass er irgendwas mit Musik zu tun gehabt hat.“
„Immerhin weißt du, dass er mit Musik zu tun hatte“, lacht sie leise. „Das kann man nicht voraussetzen.“ Sie setzt sich einen Platz weiter nach rechts. Ich rücke nach. Zugleich bemängelt sie: „Au weia. Der Sitz ist total durch“, und rückt noch zwei Plätze weiter.
Ich folge ihr. „Was machst du, wenn gleich einer kommt und den Sitz haben will?“
„Das kannst du dann erklären. Schließlich sprichst du ja jeden an.“
Ich und jeden ansprechen? Glaubt sie wirklich, dass es so ist? … Na ja, vielleicht wirkt es so auf sie, da sie noch schüchterner als ich ist … oder ich bin nicht mehr so schüchtern wie vor ein paar Wochen noch. Danke, Jesus!
Der Film beginnt. Es ist eine Dokumentation, immer wieder unterbrochen von Spielfilmsequenzen. Ich erfahre, dass Herr Bernstein Klavier gespielt hat, aber nicht nur das – er war einer der maßgeblichen Komponisten und Dirigenten der USA. Dann sehen wir seine Herkunft, die Ausbildung und seine Anfänge in der Musik.
Leider enthält der Film sehr viel schöne entspannende Klaviermusik und dunkel ist es ja sowieso. Die emotional und auch sonst anstrengenden letzten Tage fordern ihr Recht. Ich nicke immer öfter weg. Es ist schade um den Film; irgendwann hilft es alles nichts mehr, ich ergebe mich der Müdigkeit.
Die Beleuchtung im Kinosaal ist schon wieder an, die anderen Zuschauer sind weg und ein Angestellter saugt zwischen den Stuhlreihen Popcornkrümel und Müll und sammelt leere Flaschen ein. Mein Kopf liegt nicht an Niekes Schulter, sondern tiefer. Oh je.
Ich rappele mich auf und wage einen verlegenen Blick. Ist sie sauer? Aber ein Glück, sie lächelt. „Versprichst du mir was?“, erkundige ich mich. Mein rechter Arm ist taub.
„Der Schlagzeuger meiner Band würde sagen, das kommt drauf an, was du haben willst.“
„Der Typ muss eine Nervensäge sein. Immer als erstes Bedingungen stellen.“
„Ach wo, so schlimm ist er nicht. Sag doch einfach, was du haben willst.“
Auf einmal bemerke ich, dass die Armlehne zwischen unseren Sitzen hochgeklappt ist. Hätte ich über ihr gelegen, wäre mein Arm zwar jetzt noch weiter weg, aber ich wäre auch nicht so tief auf Nieke gesunken. War ich das? Oder sie? Au weia. Zweimal treffen wir uns, zweimal schlafe ich ein. Ich bewege meine kribbelige Schulter.
Sie schaut meinen Bemühungen zu. „Sag schon, was willst du versprochen haben?“
„Ich hätte gerne, wenn du nicht eins und eins zusammen rechnest und zum Ergebnis zwei kommst. Nämlich dass ich dich und Klaviermusik so langweilig finde, dass ich immer dabei einschlafe.“
„Eins und eins macht zwar immer zwei, aber ich bin bisher nicht davon ausgegangen, dass du mich langweilig findest. Sonst wärst du sicher heute Abend zuhause geblieben.“
„Puh. Hat dir der Film trotzdem gefallen?“
„Ja“, sagt sie und lächelt. „Und du? Weißt du jetzt mehr über Herrn Bernstein, außer dass er irgendwas mit Musik zu tun gehabt hat?“
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