Er seufzt noch einmal. „Früher ist vorbei, Jeremy. Und das hat da auch nur geklappt, weil ich fit war und weg konnte, wenn es mir zu eng wurde. Ich bin mit zwei völlig fremden alten Männern im Zimmer. Der eine brabbelt pausenlos unverständliches Zeug. Der andere stinkt nach Verwesung, regt sich über alles auf, vor allem über das Gebrabbel und die Ausländer und bimmelt ständig nach den Pflegern. Lüften darf ich übrigens nicht, dann friert er sofort. Er liegt an der Tür, ich am Fenster, er kann den Lufthauch noch nicht mal bemerkt haben, da beschwert er sich schon. Und dein Essen fehlt mir. Hier schmeckt es, als ob ich gekocht hätte. Ich habe sogar behauptet, ich sei Vegetarier, weil ich wissen wollte, ob das besser schmeckt.“
„Und, ist es besser?“
„Leider nein. Kannst du nicht verstehen, dass ich hier weg will?“
„Doch, kann ich. Aber kannst du nicht auch verstehen, dass ich ein bisschen … ähm, überfordert bin, wenn du zuhause bist und ich mich um alles kümmern muss? Ich kann ja nicht einfach frei nehmen.“
„Du musst dich nicht um mich kümmern. Ich darf inzwischen alleine aufstehen, das heißt, ich komme vom Bett ins Bad und in die Küche, und ansonsten liege ich halt viel auf dem Sofa oder im Garten. Zum Kardiologen fahre ich mit dem Taxi oder Merle bringt mich oder irgendjemand sonst. Und ich verspreche dir, ich halte mich an deine Anweisungen.“
Außerdem lohnt sich bekanntermaßen nicht einmal der Versuch, ihn von seinem Entschluss abzubringen.(356) „Wer holt dich ab?“
„Merle. Toni hat ihr frei gegeben.“
„Na, dann seid artig.“
„Jeremy!!“
Kaum ist das Telefonat beendet, rufe ich Merle an. Ja, ich will es von ihr auch noch einmal hören! Sie ist nicht zuhause. Später am Abend erwische ich sie aber.
„Merleschatz, warst du im Krankenhaus oder hat er heute den ganzen Tag vergeblich auf Besuch gewartet?“
„Hat er nicht, Zoran war da. Aber ich auch“, sagt sie. „Hat er dich nicht angerufen?“
„Warum sollte Zoran mich anrufen?“, gebe ich mich ahnungslos. Wie gut, dass sie mich jetzt nicht sehen kann!
„Blödsinn! Miloš natürlich.“
„Er hat doch gar kein Telefon im Zimmer, wie soll er mich anrufen?“
„Du weißt es noch nicht. Er ist heute Vormittag verlegt worden auf eine normale Station. Da hat er ein Telefon, und leider auch zwei Zimmergenossen. Beides alte Säcke. Komisch, dass er dich nicht angerufen hat. Also, das ist nämlich so, er kommt am Freitag schon raus.“
„Freitag?!“, schreie ich, denn es wäre ungewöhnlich, täte ich es nicht.
„Ja. Der Kardiologe sagt auch, dass das sehr früh ist, aber du kennst doch Miloš. Er hat den Medizinmann so lange bequatscht, bis der schließlich nachgegeben hat.“
Aha, dem hoch gelobten Dr. Karthalis ist es also auch nicht besser ergangen als mir.
„Freitag hole ich ihn ab und dann ist er bei mir, bis du von der Arbeit kommst. Ich habe frei. Du kannst auch zu mir kommen, dann koche ich uns was.“
„Was anderes interessiert mich ja mehr: habt ihr euch vertragen?“
„Wenn nicht, würde ich ihn wohl kaum aus dem Krankenhaus abholen, oder?“
„Stimmt“, tue ich überrascht.
„Und … es hat da noch eine Änderung gegeben“, druckst sie herum.
„Statt zehn Tagen muss er nur vier da bleiben, das sagtest du ja.“
„Nein, was anderes. Mit Miloš und mir. Also, wir sind jetzt … zusammen.“
„Zusammen?“
„Ein Paar. In Beziehung.“
„Moment, Moment! Erst streitet ihr, dass die Fetzen fliegen, schweigt euch wochenlang an, bis ich euch quasi zu einem Gespräch zwinge, und dann seid ihr einfach so zusammen? Willst du mich auf den Arm nehmen?“
„Nein. Es ist so. Und wir mussten auch gar nichts reden. Ich bin bloß in das Zimmer gekommen, wir haben uns angeguckt und dann hat er meine Hand genommen und mich gefragt, ob ich seine Liebste sein will.“
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