15. Juni 2016

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„Nein. Und ich wusste es auch nicht, aber ich habe damit gerechnet, dass es dazu kommt.“
„Warum hast du mir nie etwas dazu gesagt?“
„Warum hätte ich das tun sollen? Was hätte es bewirkt?“ Dabei fällt mir was anderes ein: „Aber wolltest du nicht bis Anfang September Single sein?“
„Ja. Wir werden das zu Ende bringen. Wir fassen uns nicht an.“
Ach du liebe Zeit. Auf so eine Idee kann auch nur mein Mitbewohner kommen. Aber nun gut! Ein Paar, das sich nicht anfasst. Warum nicht? … Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. „Gar nicht? Kein Händchenhalten? Kein Küsschen? Kein Umarmen?“
„Wir werden uns nicht voneinander fernhalten, aber uns so benehmen, dass wir nicht auf dumme Gedanken kommen. Du bist herzlich eingeladen, der Anstandswauwau zu sein.“
„Darf ich dich mal zitieren? Wenn einer wie du einen wie mich als moralischen Beistand braucht, ist nicht mehr viel zu retten!“
„Der große Unterschied ist in diesem Fall die Frau“, lacht er. „Übrigens hat sie die zwei Auftritte fürs Sommerfest zugesagt. Ich weiß noch nicht, wie unsere Musik klingen wird, aber sie will auf jeden Fall auf die Bühne. Na ja, ich auch. Organisier doch mal ein paar Proben, so zweimal pro Woche, dann können wir direkt starten.“
„Weißt du denn schon, wann du nach Hause kommst?“
„Ja. Freitag.“
„Freitag, das ist“, ich blättere im Kalender, „oh, der sechste Juni. Da ist auch der Einbürgerungstest. Schaffst du das, vom Krankenhaus direkt da hin? Dann hättest du einen Weg gespart. Na, wir werden sehen. Und dann zwei Probetermine pro Woche, ergibt fünf oder sechs bis zum Sommerfest. Das dürfte klappen.“
„Jeremy, deine Rechnung ist wunderschön, aber sie fängt mit einem Fehler an. Ich komme nicht am sechsten Juni raus, sondern diese Woche Freitag.“
Ich schnappe nach Luft. „Das ist ja in drei Tagen!“
„Du klingst richtig begeistert.“
„War nicht anfangs die Rede davon, dass du mindestens zehn Tage bleiben musst?“
„Ja. Aber ich habe ihnen erklärt, warum ich diese Zeit nicht habe. Auf eigene Verantwortung lassen sie mich schon am Freitag gehen.“
„Hast du denen etwa gesagt, dass deine Band auf die Bühne muss und du deshalb keine Zeit hast, weiter da rumzuliegen?“
„Ja. Außerdem wird man zuhause schneller gesund.“
„Schneller, schneller, schneller! Ich kann es nicht mehr hören!“, platzt mir der Kragen. „Du sollst es langsam angehen lassen, verdammt noch mal!! Hast du das alles schon wieder vergessen oder war es dir auch nicht so wichtig?“
„Es tut mir leid, dass es so aussieht, als hätte ich mein Versprechen vergessen. Versteh mich doch bitte, ich will gerne noch die restlichen Tage herumliegen, wenn es dir darum geht, aber ich will keinen Tag länger in diesem Krankenhaus sein.“
„Du bist Montag aus dem Koma aufgewacht und Freitag willst du schon nach Hause!“
„Schrei doch bitte nicht so.“
Ich atme durch und füge in gemäßigter Lautstärke an: „Was tust du, wenn was passiert?“
Er seufzt tief. „Jeremy, du hast recht. Es ist sehr früh, das hat die Stationsleitung auch gesagt. Aber was soll denn passieren? Es kann nichts passieren. Ich bin gesund.“
„Klar. Gesund.“
„Gesund und wackelig auf den Beinen. Ich will nicht mehr hier sein. Es ist so … indiskret.“
„Was soll das denn jetzt heißen? Vor allem wenn du das sagst? Du hast früher in jeder Ecke gepennt, egal wie viele Leute drumrum waren, hast du erzählt! Da sollte dir ja ein Dreibettzimmer nichts ausmachen.“

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