hundertdreiundneunzigstes Kapitel
Ich bin schon früh in der Schule. Auf dem Schulhof stehen Grietje und Wouter Kolijn beisammen, ich gehe zu ihnen. „Wie geht es Miloš?“, fragt er, denn der Urlaubszettel ist natürlich auf seinem Schreibtisch gelandet und anscheinend hat er eben schon von der Kollegin erfahren, worum es dabei ging.
„Besser“, strahle ich ihn an.
„Wird er noch lange auf der Intensivstation bleiben müssen?“, will Grietje wissen.
„Nein. Wir durften ja gestern schon auf der Terrasse sitzen.“
„Und wann wird er entlassen?“
„Wusste er noch nicht genau. Er sagt, mindestens zehn Tage muss er bleiben. So eine Herz-OP mit Koma ist ja kein Pipifax.“
„Mindestens zehn?“, überlegt sie fröhlich. „Na, wie ich Miloš so kenne, entlässt er sich spätestens nächsten Dienstag selbst.“
„Warum entlässt er sich selbst?“, wundert Wouter sich.
„Dem Kerl kann es nie schnell genug gehen. Mit anderen Menschen ist er sehr geduldig. Aber für sein eigenes Leben gibt es nur die Überholspur“, erklärt sie lachend.
Ich mische mich wieder ins Gespräch: „Ich glaube nicht, dass er sich selbst entlässt, denn er hat versprochen, sich an die Anweisungen der Ärzte zu halten.“
Das überzeugt sie nicht. „Stell dich drauf ein, und wenn es so gekommen ist, darfst du mir eine Überraschung machen.“
„Na, das werden wir ja noch sehen.“ Immerhin hat er es versprochen!
Wouter verabschiedet sich in Richtung des Hauptgebäudes und wir gehen in unseren Gruppenraum. „Jost hat übrigens – um mal von etwas anderem zu sprechen“, unterbricht sie sich selbst, „er hat bei seiner Kollegin den vorläufigen Plan fürs Sommerfest liegen sehen und da steht ihr drin mit zwei Terminen. Habt ihr vergessen abzusagen?“
„Nein, warum sollten wir das tun? Miloš steht doch angeblich spätestens nächsten Dienstag bei mir auf der Matte. Wenn er das schafft, was sollte ihn dann noch abhalten, nach ein oder zwei Proben auf die Bühne zu rennen?“
„So gesehen hast du recht“, lacht sie. „Du hast dich also mit deiner Niederlage abgefunden. Prima. Ich freu mich schon auf die Überraschung.“
Mit Nieke zu wetten war einfacher. Restaurantbesuch, ein Kasten Bier, Fußballbildchen! Dabei kenne ich Grietje viel besser! Womit zum Geier soll ich sie überraschen, Frauentyp hin oder her? Aber vielleicht kommt es auch gar nicht dazu. Mal sehen.
hundertvierundneunzigstes Kapitel
Am frühen Dienstagabend klingelt das Telefon.
„Ja?“, melde ich mich.
„Miloš hier“, tönt es aus der Ferne.
„Du hast ein Telefon ins Zimmer bekommen?“, ist das erste, was mir in den Sinn kommt.
„Ich bin umgezogen auf eine andere Station, und an meinem Bett ist ein Telefon.“
„Die wollten dich nicht behalten auf der Intensivstation?“
„Nein, sie brauchten mein Bett für jemand anderen. Nebenbei war es auch ziemlich unangenehm. Man wird ja komplett überwacht, also über den Puls. Ich drehe mich auf die Seite und sofort springt eine Schwester ins Zimmer, weil der Frequenzmesser Alarm schlägt. Könnte ja sein, dass etwas schlimmes passiert! Na ja, aber bei mir wird so bald nichts schlimmes mehr passieren. Deswegen ist die Intensivstation wirklich nicht nötig.“
„Hast du wieder ein Einzelzimmer?“
„Nein, ich habe zwei Bettnachbarn.“
„Hattest du vielleicht auch schon Besuch in deinem neuen Zimmer?“
„Wie unauffällig du doch nachfragst“, lacht er. „Sie ist gerade erst heimgefahren. Danke, dass du sie vorbeigeschickt hast.“
„Ihr habt euch also vertragen.“
„Ja. Auch.“
„Ihr seid ein Paar. Na endlich“, sage ich, als sei gar nichts dabei.
Weil aber doch was dabei ist, ist es am anderen Ende der Leitung für einen Moment sehr still. Dann: „Jeremy, woher weißt du das? Hat sie es dir schon erzählt?“
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