„Wenn das Herz nicht richtig arbeitet, lagert sich in der Lunge Flüssigkeit ab, das hörst du beim Luftholen, dann rasselt und pfeift es. Wenn du stehst, sammelt die Flüssigkeit sich in den unteren Lungenzipfeln“, er zeigt an seinem Körper, wo das ist, „aber wenn du liegst, bedeckt sie eine größere Fläche. Wenn er also geschlafen hat, war irgendwann so viel Wasser in der Lunge, dass kaum noch Sauerstoff aufgenommen und ins Blut transportiert werden konnte. Je mehr er gelegen hat, desto weniger Sauerstoff konnte ins Blut gelangen, desto weniger ist im Hirn angekommen. Und je weniger erholsam der Schlaf war, desto müder ist er gewesen, desto mehr hat er geschlafen, desto weniger hat es geholfen.“
Und dann ist er ja auch die ganze Zeit noch arbeiten gewesen und hat sich keine Pause gegönnt. Warum hat er sich das angetan? „Woher weißt du das so genau?“
„Meine Schwester hatte das auch. Niemand hat es bemerkt, bis sie nach einer Grippe nicht wieder in Tritt gekommen ist. Leider haben die Ärzte sie erst ein paar Wochen durch die Gegend geschickt. Einer meinte sogar, das wären Wachstumsschmerzen, dabei war sie da schon zwanzig.“
„Aber wie kann denn eine Grippe ein Loch aufmachen, das die ganze Zeit schon da ist?“
„Das Immunsystem war geschwächt, da hat das Herz die Schwachstelle plötzlich nicht mehr kompensieren können. Ist dein Freund denn mal krank gewesen?“
„Nie.“
„Das muss nichts schlimmes sein, manchmal reicht schon eine Erkältung aus.“
Der Schnupfen nach dem Auftritt im Coec fällt mir ein. „Kurz nach Ostern hatte er eine. Danke für die ganzen Erklärungen. Das ist viel besser als dieses Ärztefachchinesisch.“
„Bitteschön. Soll ich uns jetzt einen Kaffee holen?“
„Au ja“, sagt Grietje, die auch interessiert zugehört hat. „Und danach stellen wir dich als Medizinlexikon ein.“
Unser Schultag geht seinen Lauf, nach dem Stuhlkreis gibt es Frühstück und dann schließt sich der Einzelunterricht an. Normalerweise ist nichts so wichtig – außer vielleicht Feueralarm – dass man den Unterricht des Kollegen unterbrechen würde. Die Einheiten dauern ja nur eine Viertelstunde, so lange hält man es mit seinem Anliegen aus.
Heute nicht. Mitten in meinem Sprachunterricht für den kleinen Yoshafat geht die Tür auf und Grietje hält mir das Telefon hin: „Für dich, Jeremy, das Klinikum in Amsterdam.“ Sie verlässt den Raum und nimmt den Jungen mit.
In der Schule muss ich mich am Telefon so melden: „Mol en Beltsnijder Basisschool, Sie sprechen mit van Hoorn. Was kann ich für Sie tun?“ Aber es geht nicht. Ich kriege kaum Luft und quetsche nur ein „Ja?“ in den Hörer.
„Herr van Hoorn?“
„Ja.“
„Es gibt gute Nachrichten. Ihr Freund ist aufgewacht.“
Ich hole tief Luft.
„Hallo! Sind Sie noch dran?“
„Ja“, sage ich und merke, wie mir die Tränen runterlaufen.
„Es geht ihm den Umständen entsprechend gut. Er hat nach Ihnen gefragt.“
„Richten Sie ihm bitte aus, dass ich heute noch vorbei komme.“
Die Tür geht wieder auf und Grietje schaut hinein. „Jeremy, was ist passiert?“, fragt sie besorgt, weil ich immer noch das Telefon festhalte und mein Gesicht nass ist.
„Er ist aufgewacht“, schluchze ich.
Sie nimmt mir das Telefon aus der Hand und streichelt meinen Rücken. „Du gehst jetzt bitte ins Sekretariat und füllst einen Urlaubszettel aus und schreibst rein, dass du eine Familienangelegenheit hast. Wenn Miloš nicht zu deiner Familie gehört, weiß ich nicht, was er sonst sein soll. Und dann fährst du zu ihm, verstanden?“
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