Der Friede begleitet mich, als ich nach dem Gottesdienst unterwegs bin nach Amsterdam und hält auch noch an, als ich das Krankenhaus betrete. Ich frage nach Miloš’ Zimmernummer und werde auf die Intensivstation geschickt, wo ich erneut fragen muss.
Aus meiner Erinnerung hätte ich es nicht wieder gefunden.
Die Rollos sind herabgezogen, der Sommer bleibt draußen. Ein Monitor zeigt den Herzschlag an. Eine Maschine ploppt und zischt im Takt der Atemzüge. Mein bester Freund und Blutsbruder liegt zwar deutlich sichtbar in dem weißen Bett, aber ich spüre keine Anwesenheit. Er liegt da wie tot. Ohne die Maschinen wäre er es vermutlich auch.
Also, reden. Ich habe das schon einmal in einer Doku über Komapatienten gesehen. Die vertraute Stimme sei ein Trost, ein Halt. Wie ein Hafen in stürmischer See.
Aber einfach so reden, ohne dass er antwortet? Na ja, Selbstgespräche sind auch nichts anderes. „Guten Mittag“, fange ich an. „Ich glaub, ich hatte dir das versprochen mit den zwei Tagen … aber … das wird nichts.“ Es klingt komisch hier in diesem Zimmer. Es hallt ein bisschen, weil an den Wänden keine Bilder hängen und keine Vorhänge an den Fenstern. Alles ist abwaschbar. Plopp, zisch, plopp, zisch.
Ich starte einen neuen Anlauf. „Wahrscheinlich wird es länger dauern. Ich weiß aber nicht, wie lang länger. Das hängt ja auch damit zusammen, wann du wieder aufwachen willst. Allerdings denk ich, je länger du schläfst, desto länger behalten sie dich danach noch hier. Ich hab dir hier ein paar Sachen mitgebracht. Dein Politikbuch und die Bibel … die wirst du erst mal nicht brauchen. Und die Klamotten leg ich auch in den Schrank.“
Ich mache einen Moment Pause.
Die Pause wird immer länger. Irgendwann fasse ich seine Hand, damit er merkt, dass ich noch da bin, aber die Hand ist kalt. Erschrocken lasse ich sie los.
Ich schaffe es nicht, weiter zu reden, ich schaffe es nicht, etwas anderes zu tun. Ich schaffe es nicht mal, den Raum zu verlassen.
Das Klopfen an der Scheibe weckt mich aus der Starre. Ich hatte heute keine zeitliche Begrenzung; vermutlich ist es eine Krankenschwester oder ein Arzt, der im Zimmer was zu tun hat und dabei keine Zuschauer will. Ich will auch keinen sehen.
Ich will an der Person vorbei flüchten, aber die sagt leise „Jeremy“.
Jetzt schaue ich auf. Es ist ein Engel.
Nein. Nieke im hellen Kleid.
Ich glotze sie überrascht an und kriege kein Wort raus.
„John hat mich angerufen und gesagt, was du heute im Gottesdienst erzählt hast, weil er weiß, dass wir uns kennen. Ich war bei einer Freundin in der Nähe zu Besuch, und als ich mich auf den Heimweg machen wollte, dachte ich, vielleicht bist du hier und möchtest nicht alleine sein.“ Weil ich immer noch nichts sage, fragt sie: „Wie geht’s ihm?“
Ich hebe die Schultern.
„Wie geht’s dir?“
Ich hebe wieder die Schultern.
Sie hängt ihre Handtasche an die Türklinke und schließt mich in die Arme, minutenlang.
Unvermittelt ragt eine Feststellung aus meiner Verwirrung und Angst hervor: Sie riecht gut und fühlt sich auch gut an und es ist toll, dass sie so groß ist. Ich löse mich aus der Umarmung, weil ich darüber gerade nicht nachdenken will und kann.
„Was hast du jetzt vor?“, will sie wissen.
Ich hebe die Schultern.(353)
„Lass uns gehen.“
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