13. Juni 2016

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„Aber das habe ich doch nicht vom Husten gekriegt?“, wundert Miloš sich.
„Nein, den Husten haben Sie, weil sie Wasser in der Lunge haben. Das Wasser ist da drin, weil das Herz nicht mehr richtig arbeitet.“
„Aber wo kommt das Loch denn her?“
„Das ist vor und nach der Geburt nicht festgestellt worden.“
„Vor und nach der Geburt?!? Ich werde dieses Jahr zweiunddreißig!“
„Es kommt regelmäßig vor, dass angeborene Herzfehler erst so spät entdeckt werden. Manche verwachsen sich auch in der Pubertät.“
„Aber ich habe immer viel Sport gemacht, bin gelaufen und geschwommen, ich hätte das doch merken müssen!“
Das Lamentieren verschwindet in einem großen Rauschen.

Außerhalb meines Kopfes ist Stille entstanden, das Rauschen lässt nach.
„Jetzt sofort?“, will Miloš wissen.
„Je schneller desto besser. Vielleicht ist es Ihnen aufgefallen, dass Sie immer mehr Ruhepausen brauchen und danach trotzdem immer weniger Leistung abrufen können. Das wird nicht besser werden.“
Der Arzt guckt in den Computer, telefoniert, wartet, telefoniert weiter. „Ich kann Sie direkt in die Kardiologische des VUmc verlegen“, sagt er dann. „Der Eingriff dauert zwanzig Minuten, Sie werden nur lokal betäubt. Durch die Leiste wird ein Katheter eingeführt, das Loch wird mit einem Schirmchen verschlossen. Danach bleiben Sie zwei Tage zur Beobachtung im Krankenhaus und gehen hinterher regelmäßig zur Kontrolle zum Kardiologen.“
„Und da kann nichts schief gehen?“
„Herr, ähm, Kusturica, ich kann Ihnen keine Garantie darauf geben. Bei jeder Operation kann was schief gehen, sogar wenn Sie zum Zahnarzt gehen. Aber der Eingriff ist seit ein paar Jahren Routine.“
„Das kommt ein bisschen plötzlich.“
„Um Gottes Willen, ich will Sie nicht unter Druck setzen. Gehen Sie ins Café oder in den Park, sprechen Sie miteinander.“

Das Café ist voll bis auf den letzten Stuhl. Wir gehen in den Park und setzen uns auf eine Bank unter einem großen Baum.
„Und?“, macht Miloš.
„Wie, und?“
„Du weißt bei solchen Sachen immer, was das Richtige ist. Was soll ich tun? Amsterdam, Herz-OP? Das kommt mir so unwirklich vor. Ich bin noch nie im Krankenhaus gewesen, außer nach der einen oder anderen Schlägerei. Und um Leute zu besuchen.“
Ist das dein Ernst? Oder habe ich mich verhört? „Seit Wochen rede ich davon, dass du zum Arzt gehen sollst. Ich bitte dich. Ich flehe dich an. Es ist dir egal, es ist dir nicht wichtig, es nervt dich. Mommi und Dijana hast du auch verprellt und ich kann mir nicht vorstellen, dass Theodorus nichts dazu gesagt hat. Von Merle ganz zu schweigen. Aber was von selbst gekommen ist, soll auch von selbst gehen! Wahrscheinlich wartest du die ganze Zeit drauf, dass Jesus einen Engel schickt, der dich im Schlaf heilt. Oder dass er höchstpersönlich erscheint. Und jetzt, wo du nicht nur ein Loch im Herzen hast, sondern auch Wasser in der Lunge, Kreislaufstörungen, Schüttelfrost und eine Menge andere Sachen, die alle damit zusammen hängen, jetzt fragst du mich, was das Richtige ist? Was gibt mir die Sicherheit, dass du tust, was ich dir rate? Ich rate dir seit Wochen allen möglichen Kram und du tust nichts davon. Weißt du was, Miloš Kusturica, ich hab es satt mit dir. Wir sind fertig miteinander.“ Ich stehe auf und gehe weg. Ich halte es keine Sekunde länger aus.

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