Sie dankt für den Schlaf, unsere Gemeinschaft und das Essen und bittet Gott, den heutigen Tag zu segnen. Dann fangen wir an zu essen.
Mittendrin sage ich auf einmal: „Gib mal die Bibel. Bitte.“
Sie reicht mir das dicke Buch.
Beim sechzehnten Psalm liegt eine Ansichtskarte aus Dänemark als Lesezeichen. Du bist mein Herr; es gibt kein Glück für mich außer bei dir. Das ist der Punkt, über den es nachzudenken gilt. Vor allem in Bezug auf Sloba und mich. Bei wem suche ich mein Glück? Und, fast noch wichtiger: Bei wem finde ich es? Was sagen meine Ratgeber Herz und Gewissen zum Thema? Ich notiere die Bibelstelle hinten links und gebe das Buch zurück.
Wir stellen das Geschirr zusammen, als sie schließlich fragt: „Was erwartet dich zuhause?“
Inzwischen bin ich zu komplexeren Sätzen fähig. „Nicht was, sondern wer erwartet mich.“
„Okay. Wer erwartet dich zuhause?“
„Der Miloš. Das hier ist sein freies Wochenende.“
„Redet er wieder mit Merle?“
„Das ist ein anderes Thema und gehört nicht hier hin. Sie hat jedenfalls vorgestern die Miete für den Proberaum überwiesen, das heißt, sie sieht noch Hoffnung.“
„Okay. Was wird er tun? Sloba hat ihn ja sicher eingeweiht.“
„Ja, das hat sie bestimmt getan. Aber er wird ihr kein Wort glauben.“
„Wieso bist du so sicher? Sie ist seine Lieblingskusine und er lässt keine Gelegenheit aus, darauf hinzuweisen.“
„Aber er ist mein Freund und er kennt mich lang genug um einschätzen zu können, was er mir zuzutrauen hat.“
„Wie lange kennt ihr euch denn schon?“
„So richtig eng seit anderthalb Jahren. In der Zeit sind nicht nur Höhenflüge passiert, wenn du verstehst, was ich meine. Aber das hat unser Fundament gefestigt. Er ist kein einfacher Mensch, das unterschreib ich sofort. Aber ich kann mich jederzeit auf ihn verlassen. Dafür nehme ich auch seine Schwierigkeiten in Kauf.“
Sie seufzt leise. „Das klingt nach der ganz echten Männerfreundschaft. So wie man es sonst nur in Indianergeschichten liest.“
„Hau“, mache ich ernst. „Häuptling Schwarzer Pfannenstiel hat gesprochen.“ Dann ist es vorbei mit ernst, wir lachen beide.
„Bringst du mich zum Zug?“, frage ich nach dem Gelächter.
„Natürlich. Vielen Dank für die lange Zeit mit dir.“
Sie macht mich etwas verlegen mit ihrer ganzen Bedankerei für die gemeinsame Zeit. „Das wird nicht das letzte Mal gewesen sein. Du bist jetzt dran mit Restaurant aussuchen.“
„Ich habe doch gar keine Wette gewonnen?“
„Na und? Ich lad dich ein. Ich will noch mal um die schöne Frau an meiner Seite beneidet werden und ich will noch mal sehen, wie Männer hinter dir her gucken, und dann wissen, dass du dich nur wegen mir so in Schale geworfen hast.“
hundertfünfundachtzigstes Kapitel
Weder im Garten noch im Haus ist jemand zu sehen oder zu hören, er muss aber da sein, denn die Terrassentür steht offen. Ich gehe nach oben und ziehe mich um. Wieder in der Küche angelangt sehe ich, dass er auf der Terrasse in der Sonne liegt. Wie ist er denn da hingekommen? Kann er sich neuerdings auch unsichtbar machen?
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