13. Juni 2016

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Auf dem Tischchen mit meinem halbleeren Glas – zweieinhalb Bier! Kein Wunder, dass ich weggeratzt bin! – hat sie eine kleine Lampe angelassen, und im Lichtkegel liegt ein Blatt Papier, auf dem JEREMY steht. Auf der Rückseite lese ich:

Mein lieber Jeremy!
Auch wenn es dir vielleicht unangenehm ist, hast du meiner Musik ein großes Kompliment gemacht, indem du sie mit in deine Träume genommen hast.
Ich habe dir eine Decke auf den Klavierhocker gelegt und im Bad ist eine Zahnbürste für dich. Das T-Shirt ist für den Fall, dass du nachts eins brauchst.
Bitte bleib zum Frühstück.
Nieke.

P.S.: Danke für die wunderbare Zeit mir dir.

Jesus … ich brauch mal schnell deinen Rat. Was soll ich tun? Bleiben oder gehen?
Wie im Comic sehe ich den Empfang, den mir meine Jovovič-Kusturica-Familie morgen bereiten wird. Will ich riskieren, dass sie sich doch gegen mich verbünden? Gegen zwei aus dieser Sippe habe ich keine Chance, Blutsbruderschaft hin oder her.(341)
Andererseits – habe ich mir etwas vorzuwerfen? Habe ich mich schlecht benommen? Dinge getan, die sich nicht gehören? Die meine Freundin Sloba kränken könnten? (Davon abgesehen, dass sie leicht zu kränken ist und keine Gründe braucht.)
Nein.
Wir waren essen, sie hat Musik gemacht, ich bin dabei auf ihrem Sofa eingeschlafen. Ich habe sie kaum mal angefasst. Da habe ich mit Merle mehr Körperkontakt! Jetzt liegt sie in ihrem Bett und hat vielleicht sogar die Zimmertür abgeschlossen.
Nein, hat sie nicht. Hoffe ich. Hoffentlich kann sie mich mittlerweile gut genug einschätzen um zu wissen, dass das unnötig ist.
Und hoffentlich verbündet Miloš sich nicht mit seiner Lieblingskusine gegen mich.
Ich habe jetzt überhaupt keine Lust, zum Bahnhof zu gehen, mit dem Zug zu fahren, zuhause anzukommen und dumme Fragen gestellt zu kriegen, falls er noch wach ist.
Mannomann, bin ich müde.
War das deine Antwort? Falls ja, danke.

Ich falle aus dem Bett. Das weckt mich. Wo bin ich? Ach so. Das Bett ist keins, sondern ein Sofa. Ich rappele mich auf, wundere mich, dass ich ein T-Shirt trage und gehe zum Bad. Die Tür ist abgeschlossen. „Ich beeile mich!“, ruft sie von drinnen. Wasser plätschert.
Das erinnert mich an früher. Mit Helena zusammen war es schrecklich, nur eine Toilette im Bad zu haben. Sie brauchte das Bad nämlich für sich alleine. Konzentration! Und es hat immer ewig gedauert, bis ihre perfektionistische Art mit ihrem wunderschönen Gesicht zufrieden war. Ich weiß nicht, wie oft ich ernsthaft erwogen habe, in die Spüle zu pinkeln oder einen Eimer auf den Balkon zu stellen.
Es ist einer der ganz großen Vorteile unserer Männer-WG: Die Badezimmertür ist nie abgeschlossen. Was haben wir denn voreinander zu verbergen?
Es plätschert noch immer. Damit es hier nicht auch gleich plätschert, gucke ich mich ein bisschen um.
Ich sehe nichts, was ich nicht gestern auch schon mal gesehen hätte.

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