„Was hat sie dir getan?“
„Geht schon. Nur vors Schienbein getreten. Wie schaffst du es, so ruhig zu bleiben?“
Ich hebe die Schultern und trinke das Bier in einem Zug aus. Dann lasse ich mich aufs Sofa fallen. Es quietscht erschrocken.
„Willst du reden?“, fragt sie vorsichtig und hat sich immer noch nicht hingesetzt.
Ich halte ihr das leere Glas hin.
Sie füllt es neu, derweil atme ich tief ein und aus und ein und aus, bis ich mich so ruhig fühle, wie sie glaubt, dass ich es wäre. „Na los. Frag deine Fragen“, mache ich.
„Wie hältst du es mit ihr aus?“
„Sie ist ja nicht immer so.“
„Ich weiß, Katy hat mir einiges erzählt, sie kann auch noch ganz anders. Ehrlich, ich verstehe es nicht. Du bist nicht auf sie angewiesen, warum tust du dir das an?“
Ich bin nicht ruhig! Ich könnte ausrasten! Abrupt springe ich auf und stürze aus dem Raum. Diese Furie macht mich zur Furie! Was für eine undankbare Zicke! Nieke hat sie so viel zu verdanken! Den Job! Das Zimmer in der WG!
Warum kümmere ich mich überhaupt um sie? Warum gehe ich korrekt mit ihr um? Warum verzeihe ich ihr jedes Mal aufs Neue allen möglichen kindischen Kram?!
Und. Ich. Gehöre. Ihr. Nicht!!
Gleich raste ich wirklich aus. Was sehr schlecht wäre. Und ich will es auch nicht. Schon gar nicht hier. Aber ich muss mich irgendwie abreagieren! Als letzten Ausweg flüchte ich ins Bad und halte meinen Kopf unter fließendes Wasser, bis die Ohren von der Kälte weh tun.
Hm, und jetzt?
Jetzt rinnt mir das Wasser in den Hemdkragen und weiß nicht, welches Handtuch ich benutzen darf. Sie will sich bestimmt nicht morgen mit einem abtrocknen, das nach mir riecht.
„Nieke? Welches Handtuch darf ich nehmen?“, rufe ich zu ihr herüber, denn ich will nicht die Wohnung volltropfen.
Sie kommt her. Und bleibt immer noch auf Distanz.
„Nieke“, fange ich ruhig an. „Ich bin innen und außen abgekühlt. Es ist okay.“
„Es ist schlecht einzuschätzen“, sagt sie, ohne mich anzusehen und gibt mir ein Handtuch aus dem Regal. „Bei uns zuhause geht es alles sehr friedlich zu, wenn etwas nicht stimmt, wird darüber gesprochen, bis es geklärt ist. Niemand schreit herum. Nachdem Sloba weg war, habe ich gedacht, wir reden, also ist es gut. Dann rennst du weg … erst dachte ich, oh bitte, fang nicht an zu brüllen, das kann ich nicht ertragen … aber … ich glaube, es war schlimmer, dass du nicht herum gebrüllt hast. Deine Gedanken waren noch lauter.“
„Hab ich dir Angst gemacht?“(339)
„Ein bisschen.“
„Sozusagen ein bisschen sehr“, übersetze ich. „Das tut mir leid. Ich habe mich extra zusammen gerissen, es soll ja nicht das ganze Haus mitkriegen, dass du noch mehr lauten Besuch hast als den im Treppenhaus.“ Oh je, fällt mir ein. Ich habe auch mal in einem Treppenhaus gestanden und rumgebrüllt … wie peinlich!
„Wirst du sonst immer laut?“
„Nein, das hättest du längst mitbekommen. Wenn ich in einem Streit merke, ich komme mit leisen Worten nicht weiter, versuche ich es mit lauten Worten. Aber bis dahin dauert es eine Weile. Frag mal den Miloš.“
„Den kann ich erst recht nicht einschätzen“, murmelt sie.
„Dann frag Merle. Seit wir zusammen Musik machen, ist es zu genug Extremsituationen gekommen um das einschätzen zu können.“ Wetten, dass sie endlich noch mal „meist freundlich, manchmal ziemlich laut“ sagt?
Ich gebe ihr das feuchte Handtuch zurück und sie hängt es über die Duschkabinenwand.
„Nun zu deiner Frage, warum ich mir das antue. Es hat damit zu tun, wie ich ein Versprechen verstehe. Wenn ich etwas verspreche, ist es mir wichtig, das einzuhalten. Sonst könnte ich ja auch die Klappe halten. Die Leute sollen sich auf mich verlassen können.“ Wir gehen zurück ins Wohnzimmer.
„Und was hast du ihr versprochen? Ewige Liebe?“
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