Ein völlig abwegiger Gedanke!, denke ich ironisch, frage aber: „Wen hat er denn so schnell zur Vertretung gekriegt?“
„Weiß ich nicht. Erst hat er da selbst gestanden.“
„Willst du was essen?“
„Nein danke.“
„Kaffee? Kuchen?“, erweitere ich das Angebot.
„Nein, danke“, wiederholt er mit mehr Betonung.
Dann halt nicht! Ich gehe wieder runter und bereite mir etwas Leckeres. Später telefoniere ich mit Cokko und rede mit ihm über unsere Mutter, noch etwas später gehe ich trommeln und bald darauf ist der Sonntag und mit ihm das Wochenende um.
Die Woche verstreicht wie eine ganz normale Woche.
Das emotionale Ereignis vom Sonntag habe ich beiseite geschoben, ich muss erst jemanden finden, den ich danach fragen kann. Vorher will ich mich nicht damit befassen.
Die Bandprobe fällt aus.
Meine beiden besten Freunde schweigen sich erbittert an.
Unter großer Anstrengung schleppt sich mein Mitbewohner durch die Arbeitswoche. Steven ist ja mindestens einmal pro Woche dort, aber er scheint immer dann seine Besuche abzustatten, wenn jemand anders verkauft. Sonst hätte er ihn wieder nach Hause geschickt.
Für mich ist es zunehmend schwer, ihn nicht auf seine körperlichen Leiden anzusprechen. Ich weiß, es wird im Streit enden. Aber ich sehe, er pfeift auf dem letzten Loch – wortwörtlich, wenn man seine Atemgeräusche hört. Ich versuche mich so gut es geht abzulenken.
Der Lichtblick der Woche ist der Freitag. Dann werde ich mit Nieke essen gehen. Wir sind um sieben in Hoorn im Hauptbahnhof verabredet, um zusammen nach Alkmaar zu fahren.
hundertdreiundachtzigstes Kapitel
Kurz vorm Bahnhof wird mein Zug langsam und noch langsamer und hält schließlich an. Eine Durchsage klärt die Reisenden auf, dass es eine Baustelle an einer Weiche gibt. In meine Vorfreude mischt sich eine mittelgroße Menge Nervosität. Hoffentlich kriege ich noch den Anschlusszug!!
Endlich bin ich da. Ich sprinte aus dem Zug, die Treppen hinauf, über die Fußgängerbrücke, am anderen Gleis die Treppen runter – geschafft. Nieke wartet an der offenen Tür und lächelt mir entgegen.
Oh, wow! Wow. Wow! Ich kann nicht anders, ich pfeife bewundernd.
Sie lächelt noch mehr. Aber auch ohne das Lächeln ist sie die schönste Frau weit und breit. Sie trägt ein dunkeltürkises(336) bodenlanges Kleid aus Spitze. Es geht bis zum Hals und hat lange enge Ärmel, ist aber ab dem Dekolleté durchsichtig. Ihr Schmuck besteht aus Silber und Türkisen, das Make-up passt, die Frisur ist wie eine Krone.
„Hast du bald genug geguckt?“, fragt sie amüsiert.
Ich glaube nicht. Trotzdem gucke ich mich auch mal im Zug um. Wow. Sie zieht die Blicke auf sich! Sitzplätze gibt es leider keine.
„Du siehst großartig aus“, sage ich, falls das bisher nicht deutlich genug war.
„Danke. Du aber auch.“
Mit einem Piepsignal schließen die Türen und der Zug setzt sich in Bewegung.
„Wo ist deine Brille?“, bemerke ich.
„Ich trage Kontaktlinsen“, löst sie das Rätsel auf. „Und wo ist dein Schlips?“
Ich nehme die zwei gerollten Bündel aus den Jacketttaschen. „Ich war mir wegen der Farbe nicht sicher. Wie gut, dass ich nicht nur die grüne mitgenommen habe. Grün und türkis!“
„Nicht türkis“, korrigiert sie lächelnd, „jade.“
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