Ich kann nicht mehr weiter sprechen. In mir ist eine so große Sehnsucht nach einer gesunden Beziehung zu meinem Vater. Und meiner Mutter. Auf einmal fühle ich mich einsam wie ein Waisenkind. Ich will sie auch Papa und Mama nennen können, nicht diesen legeren und eigentlich unpersönlichen Vornamen-Scheiß. Hätte Gerrit mir nicht verschwiegen, was mit Lucy los war, warum sie nicht zu mir kommen konnte … wäre mein Leben dann einfacher gewesen? Aber was hat mich gehindert, einfach mal nach ihr zu fragen? Irgendwas in mir muss ja die Überzeugung gefestigt(335) haben, dass sie nichts mit mir zu tun haben will. Niemand hat je dergleichen zu mir gesagt, warum habe ich es trotzdem geglaubt?
Wer kann mir in dieser Frage weiterhelfen?
Mommi kann es nicht. Sie hat mir das Ganze unendliche Male erklärt und es ist in den Ohren, aber nie im Herzen angekommen.
Theodorus? Will ich nicht. Zu dem Schmerz muss ich mir nicht auch noch eine dumme Antwort abholen, da kann Miloš noch so oft sagen, dass er es ja nur gut meint.
Beim Segnen hat Jamie ganz still gelegen, als wolle er sich jedes Wort einprägen, aber jetzt strampelt er wieder wie wild und will beschäftigt werden.
Ich hole ein Taschentuch hervor, trockne mir das Gesicht und stehe auf. Draußen finde ich Benji, Michelle und Debbie im Gespräch mit ein paar anderen Leuten in unserem Alter.
„Guckt euch das an!“, macht sie lachend auf uns aufmerksam, „Ein Mann, der Babys festhalten kann!“
„Was ist daran so besonderes?“, will Benji wissen.
„Die meisten Männer, die noch keine eigenen Kinder haben, halten Babys so vorsichtig fest, als seien sie zerbrechlich. Am besten noch ohne Körperkontakt.“ Sie bewegt mich wie eine Schaufensterpuppe, damit die anderen sehen, was sie meint. „Die Kinder merken das und fühlen sich unwohl. Aber Jamie mag ihn, der ist total entspannt.“ Trotzdem holt sie sich ihr Söhnchen nun zurück.
„Und woher weißt du, dass Jeremy keine eigenen Kinder hat?“
„Ähm“, wendet sie sich an mich, „hast du schon Kinder?“
„Nee.“
„Warte nicht zu lange damit. Ihr seht gut zusammen aus.“
Ich will es nicht fragen, weil es Privatkram ist, aber die Frage ist schneller. „Hast du einen Papa für ihn?“
„Jedes Kind hat einen Papa, oder?“, gibt sie zurück.
„Nein, ich meine so … ist er für euch da und so?“
„Nein, warum fragst du? Grundsätzlich nehmen wir Bewerbungen entgegen.“
„Was für Bewerbungen?“
„Falls du dich als Ersatzpapa bewerben willst.“
„Natürlich nicht“, knurre ich und fühle, dass ich rot geworden bin. Mist.
„Also sag. Warum fragst du?“, wiederholt Debbie.
„Nur so“, wehre ich ab. Das kann ich ihr leider nicht erklären. Wir kennen uns ja gar nicht.
Benji bedauert, dass ich heute nicht mit nach Hause kommen kann, denn wenn Alannah gleich von der Arbeit kommt, wird sie müde sein und niemanden sehen wollen. Weil sich keine andere Einladung ergibt, fahre ich heim.
Miloš’ Fahrrad steht hinterm Haus. Seltsam … ist er zur Arbeit gegangen? Oder hat er kurzfristig frei bekommen?
Auf dem Sofa ist er nicht.
Der Anrufbeantworter blinkt, Sloba wünscht einen Rückruf. Ich habe keine Lust und lösche die Aufnahme. Als ich an Miloš’ wie üblich geschlossener Zimmertür vorbei gehe, höre ich sein Schwalbenschnarchen. Aber ich ziehe mich erst um, bevor ich zu ihm hineingehe und mich vor sein Bett hocke. Beim Knacken meiner Knie wacht er auf.
„Was machst du hier, ich denke, du bist arbeiten?“, frage ich.
„Steven war da, er hat mich nach Hause geschickt.“
„Warum denn das?“
„Pipifax“, er winkt ab. „Er meint, ich sähe krank aus.“
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