Die Anbetungszeit gelingt gut, der restliche Gottesdienst ist auch toll. Es gibt wieder Abendmahl. Eine ganz große Entwicklung in mir fällt mir auf. Früher wäre ich nach einer Niederlage wie der von Freitagnacht nicht in den Gottesdienst gegangen, weil ich mich sündig und schmutzig gefühlt hätte (und erst recht unwürdig, am Abendmahl teilzunehmen). Ich hätte auch mit Jesus darüber gesprochen und er hätte mir vergeben, aber ich hätte die Vergebung nicht angenommen. Ich weiß nicht, wann ich angefangen habe, die Vergebung für so „schlimme Sachen“ anzunehmen(334), aber es ist ein großer Schritt hin zu einer reifen Jesus-Beziehung. Ich bin froh drum, das kapiert zu haben.
Miloš ist übrigens nicht mehr erschienen. Dafür stellt Benji mir nach dem Gottesdienst eine junge Frau mit Baby vor, das ist meine Vorgängerin Debbie. Erst habe ich ein mulmiges Gefühl, weil ich ihr ja den Platz streitig mache, aber sie freut sich, dass so schnell ein Ersatz gefunden ist und der dann auch noch singt und viel besser trommelt als sie. Als sie sich ein Glas Saft holt, darf ich ihren Sohn Jamie halten und ich bin wie jedes Mal völlig fasziniert, wie klein so ein kleines Kind sein kann. Vor allem diese winzigen Hände! Fast bin ich traurig, als Debbie wiederkommt und ich ihn abgeben muss.
Sie schaut mich lachend an. „Willst du ihn noch ein Weilchen behalten?“
Ich nicke.
„Pass nur auf, dass er nicht auf deinen Schlips sabbert. Könnte sein, dass die Flecken nicht wieder raus gehen. Das ist doch Seide, oder?“
„Ja.“ Ich löse den Knoten und will ihn mir in die Jackentasche stecken. Das klappt einhändig nicht so einfach, mindestens ein Ende hängt immer raus und zieht den Rest mit sich.
„Warte mal“, sagt Debbie, stellt ihr Glas beiseite, rollt ihn zu einem fliederroten Bündel auf und füllt meine Tasche damit. „Soll ich euch zwei jetzt alleine lassen?“
„Au ja.“ Ich öffne den obersten Kragenknopf.
„Gut. Du findest mich auf dem Parkplatz.“
Ich schlage die Beine übereinander und lege mir das winzige Wunder in die Kniebeuge. So können wir uns gut ansehen und ich habe die Hände frei. Jamie greift immerzu nach meinen Fingern. Und mit etwas Mühe kann er auch einen Finger ganz umfassen. Hach, ist der süß. Und so … komplett. So vollständig. Und alles, was er in diesen Tagen braucht, ist Essen, Wärme, Geborgenheit. Liebe.
Mich überkommt ein starkes Bedürfnis, ihn zu segnen. Darf man einfach so fremde Kinder segnen? Aber was würde dagegen sprechen? Aber vielleicht will die Mama dabei sein, um dem Kleinen eines Tages davon zu erzählen? Aber vielleicht braucht er gar niemanden, der ihm davon erzählt, weil er ja jetzt schon alles versteht, es nur nicht erzählen kann, weil seine Mundmotorik noch nicht so weit ist?
Ich lege ihm eine Hand auf den Kopf. Das Größenverhältnis ist grotesk. „Jamie, in Gottes Namen, ich segne dich. Ich segne dich mit Erkenntnis von Gott. Ich segne dich mit dem Wissen, dass du geliebt bist. Ich segne dich mit einer guten Beziehung zu deiner Mama. Ja, ich segne auch deine Mama, damit sie dich versteht und auf dich eingehen kann. Ich segne dich damit, ein Freund zu sein für deine Freunde, einer, auf den man sich verlassen kann. Ich segne dich mit Gesundheit. Ich segne dich mit Stärke und Mut, um die Welt zu verändern, und mit Weisheit, zu akzeptieren, was du nicht verändern kannst. Ich segne auch deine Mama mit Gesundheit, damit sie für dich da sein kann. Und deinen Papa segne ich auch – hast du eigentlich einen Papa? Kennst du ihn?“ Auf einmal ist mein Hals eng und ich muss tief Luft holen. „Ich segne ihn, dass er Zeit für dich hat.“ Ich kann nichts dagegen tun, mir laufen die Tränen runter. „Jamie, im Namen Gottes, ich segne euch beide mit einer gesunden Beziehung.“
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