Genau dahin fahre ich, setze mich auf ein Stück Deichwiese ohne Schafköttel und schaue raus aufs IJsselmeer, das früher Zuyderzee hieß und Namensgeber war für meine Heimatstadt. Bis vor dem letzten großen Stadtbrand im Jahre 1657 (oder so ungefähr) gab es auch noch eine Kirche, die Zuyderkerk hieß. An ihrer Stelle wurde dann die Grote Kerk gebaut, von deren Turm man an klaren Tagen bis nach Friesland sehen kann.
Haringsvliet liegt übrigens fast genau auf halber Strecke nach Wilhelminakerk, was ja früher Miloš’ Wendemarke beim Laufen gewesen ist.
Wird er eines Tages wieder laufen können?
Wenn er gesund wird, ja.
Wird er eines Tages wieder gesund?
Bekanntermaßen hat er einen freien Willen. Ich werde ihn nicht zwingen, zum Arzt zu gehen.
Mir entweicht ein tiefer Seufzer. Diese Gespräche drehen sich im Kreis. Ich bin es müde.
Von dem stillen Deichstück bei Haringsvliet fahre ich einmal ganz durch Zuyderkerk hindurch, um den Abend mit dem Gegenteil von Stille ausklingen zu lassen. Morgen bin ich wieder in der VKR. Miloš hat sein reguläres Arbeitswochenende, aber weil er ja letzte Woche spontan eingesprungen ist, arbeitet er nur am Sonntagnachmittag. Er hat sich bisher noch nicht geäußert, ob er mitkommen will. Scheint so, dass es ihm nicht gut geht.
hundertzweiundachtzigstes Kapitel
Als ich um acht in der VKR eintreffe, stehen schon Benji und Michelle (das ist die zweite Sängerin) auf der Bühne. „Hoi“, grüße ich, „kommen die anderen noch?“
„Nein, wir sind heute nur zu dritt“, sagt Michelle. „Alannah und Sammy sind arbeiten und Mark hat eine Familienfeier.“
„So früh schon?“, unterbreche ich.
„Nein, aber er muss erst mal hinfahren. Seine Eltern sind nicht von hier.“
Benji räuspert sich. „Jeremy Willem, erklär uns das bitte. Warum machst du bei uns mit?“
„Wenn du mich Jeremy nennst, reicht das aus. Und was ist das für eine Frage, warum mache ich bei euch mit?“
„Du bist ein richtiger Rockstar. Wir verstehen nicht, warum du bei uns mitmachst.“
„Wie kommst du drauf, dass ich ein Rockstar wäre?“
„Du hast Sammy und Mark die DVD gegeben und die haben wir alle angeguckt und dann haben wir die Seite im Internet aufgesucht, weil die Sängerin das ja bei dem Auftritt erwähnt hat und dann haben wir gesehen, dass ihr schon ganz viele Auftritte hattet. Wir haben eure Referenzen gelesen und dass ihr in der engeren Wahl für den Integrationspreis wart und wer eure namhaften Fans sind. Voll krass!“
Michelle fügt hinzu: „Deswegen fragen wir uns, warum du mit deinem Können und deiner Vielseitigkeit bei uns trommelst. Außerdem hast du eine Band, du brauchst uns nicht.“
„Aber ich will für Jesus trommeln. Und ihr braucht einen, der trommelt. Also tu ich das.“
„Aber was wir hier machen, ist doch total langweiliger Kinderkram, verglichen mit der Musik von deiner Band?!“
„Nein“, sage ich. „Es ist kein Kinderkram, es ist Anbetung. Deswegen mache ich mit.“
„Du beschämst mich“, murmelt Benji. „Ich danke dir für diese Richtigstellung. Wir machen Anbetung. Willst du heute vielleicht auch singen?“
„Gerne. Dann können wir aber nur Lieder spielen, die ich zumindest im Refrain kenne.“
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