Ich kriege rote Ohren. Bis zum Hemdkragen. „Wann wir das erste Mal Sex haben“, murmele ich und schaue nicht auf.
„Gestern Nacht?“
Ich nicke bloß.
„Und jetzt bist du eigentlich gar nicht wütend, sondern fühlst dich nur schlecht, weil du damit ja ganz anders umgehen wolltest.“
Ich nicke wieder.
Es klingelt an der Tür. „Das wird der Postbote sein“, sagt sie, „warte einen Moment.“
Es ist nicht der Postbote, sondern der Mitbewohner.(331) „Er ist einfach weggerannt“, höre ich ihn besorgt berichten. „Ich war schon im Proberaum und am Schiff und habe Merle angerufen und er ist nirgends. Er hat ja nicht mal sein Fahrrad mitgenommen. Wo könnte er denn sein? Ich habe kein gutes Gefühl.“
„Wenn du zu mir kommst, wieso gehst du davon aus, dass er nicht zu mir kommt?“, fragt sie schmunzelnd.
Erleichtert stößt er die Luft aus. „Wahrscheinlich sagst du mir nicht, was er hat.“
„Deine Menschenkenntnis ist überragend.“
Jetzt grinst er, ich höre es. „Gut. Ich fahre heim. Falls er ohne mich sein will, weiß er ja, wo er nicht hingehen muss.“
Sie verabschieden sich und Mommi tritt wieder in die Küche. „Das kommt dann noch zu deinem Unwohlsein dazu, dass du den Miloš angebrüllt hast, bloß weil er nachgefragt hat. Er kann überhaupt nichts dafür, ist aber der, der alles abkriegt.“
Ich nicke noch einmal. Sie hat ja so recht. Nur eine Frage ist übrig geblieben: „Was soll ich denn jetzt tun?“
Sie streichelt meine Wange. „Junge, du brauchst niemanden, der dir das sagt. Hör auf dein Herz. Hör auf dein Gewissen. Sie sind deine Ratgeber. Entscheide dich. Und dann nimm die Entscheidung an. Grüble nicht wochenlang drüber nach, ob die andere Möglichkeit besser gewesen wäre. Der Weg, den du ausgesucht hast, ist richtig für dich, denn du hast vorher gründlich drüber nachgedacht.“
Ich seufze.
Erst nachmittags bin ich wieder zuhause. Dort wird es jetzt leichter sein, den Durchblick zu wahren, denn Jodoke und Sammy sind offenbar mit ihrem Taschengeld beim Glaser gewesen; Arjen hat die Fensterscheibe in die Terrassentür eingebaut.
Miloš steht in der Küche und rührt Kuchenteig, dieses Mal nicht mit Vanille, Äpfeln oder Kakao, sondern mit Rosinen und Nüssen. Der Europameister sucht neue Herausforderungen. Ich stecke sein Backbuch (das, was Alannah ihm geschenkt hat) in den Buchständer und setze mich auf das frei gewordene Stück Arbeitsplatte.
„Geht es dir besser?“, fragt er.
Ich überwinde mich. „Tut mir leid, dass du immer der Blitzableiter sein musst.“
„Ich habe keine Ahnung, wovon du redest“, behauptet er.
„Ich hoffe, das ist okay, dass ich dir trotzdem nicht sage, was los ist.“
„Du kannst doch selbst entscheiden, was du mir erzählen willst und was nicht.“
Entscheiden. Da ist es wieder. Ich muss selbst entscheiden.
„Bekomme ich eine Antwort von dir?“, fragt er, als der Kuchen schon im Ofen ist und er die Rührschüssel und die anderen Gegenstände abspült.
„Sag erst mal die Frage.“
„Seid ihr noch zusammen?“
„Da bis jetzt keiner Schluss gemacht hat, würde ich das schon sagen.“ Ich mag nichts mehr reden. Ich verlasse die Küche, gehe in mein Zimmer und lege mich aufs Bett.
Je mehr man nichts reden will, desto mehr wollen die Mitmenschen wissen, was los ist.
Und je mehr man an nichts denken will, desto voller wird der Kopf von allen ungedachten Gedanken. Es ist sozusagen doppelt still darin. Schließlich lasse ich sie raus.
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