In einem der Häuser finde ich einen Krämerladen mit allem, was ein anständiger Krämerladen enthalten muss: von einem Sortiment Kleidung für fast jede Wetterlage über Spielzeug, Lebensmittel, Süßigkeiten, Tabak und Zeitschriften bis hin zu Tierfutter, Blumenerde, Werkzeug und einem schwarzen Brett für Gesuche und Gebote der Kunden. Ach ja, und Postkarten natürlich auch. Ich suche mir die vier schönsten aus, denn ich kaufe nie mehr als vier Postkarten. Da muss man sich auf die wichtigsten Menschen beschränken. Wer gehört diesmal zum Kreis der Auserwählten? Mommi natürlich und Cokko, Pieter darf auch gerne wissen, wo ich bin (bzw. wo ich war, denn die Karte ist bestimmt länger unterwegs als ich) und … Sloba? Nein, die macht sich nichts aus Postkarten. Die Kollegen? Oder die Familie in Alkmaar? Ach nein, dieses Mal ist Merle an der Reihe.
Ich erhalte an der Kasse Briefmarken dazu und gebe mein restliches Geld für einen Blumenstrauß aus. Weil das heiße Wetter nichts für ihn ist, gehe ich direkt zurück zu DeDe, wie ich Dragan und Dijana der Einfachheit halber zusammenfasse.
Das Auto steht im Hof, also ist Miloš wieder da. Mein erster Weg führt aber zur Frau des Hauses. Sie ist in der Küche mit der Zubereitung etwas Essbaren beschäftigt.
„Dijahana!“, singe ich ihren Namen. Sie dreht sich zu mir um und guckt als erstes in den Blumenstrauß, als zweites in mein Gesicht und ich sehe ihre Freude. Wau. Wer rechnet schließlich damit, vom selbst verschenkten Geld einen Blumenstrauß geschenkt zu bekommen? Aber es ist noch mehr. Es ist die warmherzige Beziehung zwischen uns.
„Wieso schenkst du ihr so ein Mädchengemüse?“, fragt mein Mitbewohner.
„Weil sie sich freut.“ War er bei seinen Eltern? So oder so, er hat schlechte Laune.
„Das ist Blödsinn. Du wusstest vorher nicht, dass sie sich freuen würde, also musst du einen anderen Grund gehabt haben.“
„Du redest selber Blödsinn. Ich kenne sie halt ein bisschen, deswegen habe ich gedacht, dass sie sich freuen könnte, und siehe da, sie freut sich.“ Außerdem bin ich ein Frauentyp!
Er schnaubt etwas, das ich nicht verstehe, obwohl es nicht serbisch klingt. Vielleicht schnaubt er hier russische Wörter, wenn er will, dass ihn niemand versteht.(324) Aber ich will es gar nicht wissen. Sein unfreundliches Geschnaube geht mir auf die Nerven.
Dragan kommt heute schon mittags von der Arbeit heim. Genau wie Bogi und Midi hat er sich für diese Woche ein paar halbe Tage frei genommen, um Zeit für uns zu haben.
Nach dem Essen begebe ich mich an meine Touristenpflicht und beobachte nebenher, wie Dijana mit Miloš redet. So wie er ausweicht und versucht sie abzuwimmeln, geht es wohl um seinen Gesundheitszustand, aber sie gibt nicht nach. Um sie loszuwerden, verpasst er ihr ein paar grobe Worte. Ich sehe, dass sie sich die Tränen verbeißt. Dragan weist ihn zurecht. Jetzt ist es mein Freund, der nicht nachgibt. Dragans Tonfall wird schärfer. Miloš sagt etwas, das wie „das geht euch gar nichts an“ klingt. Die Entgegnung darauf ist vermutlich „wir haben dich groß gezogen, also geht es uns was an“. Miloš steht auf, weil er raus will, Dragan steht auf, weil er noch eine Antwort erwartet. Wahrscheinlich sagt Miloš irgendeine Unverschämtheit, denn Sekunden später fängt er sich eine schallende Ohrfeige. Er hebt die Fäuste, beherrscht sich aber. Dragan hat es gesehen und was er sagt, kann nur „Das rat ich dir“ bedeuten. Miloš sagt noch etwas, Dragan droht ihm mit der Hand und Miloš verlässt türenschlagend den Raum.
Ich gebe vor, die ganze Zeit über meine Postkarten und ihren Text und die Adressen nachgedacht zu haben und wäre lieber gar nicht hier.
Dragan setzt sich zu mir an den Tisch. „Es tut mir leid zu streiten, obwohl du dabei bist.“
Ich winke ab. Daran lässt sich jetzt auch nichts mehr ändern.
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