3. Juni 2016

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Am nächsten Tag serviert Dijana mir ein reichliches Frühstück, das ich mir ohne Miloš einverleibe, denn wer keinen Appetit hat, hat auch keinen Spaß daran, mir stundenlang beim Essen zuzugucken. Danach kommt Bogis Physiofreund und bearbeitet meinen Rücken und wir verabreden uns für den nächsten Tag. Danach lege ich mich wieder in die Sonne.
Irgendwann fühle ich mich endlich so aufgeheizt, dass ich den Liegestuhl verlassen will. Wann gab es das zuletzt, anderthalb Tage freiwilliges Herumliegen! Mommi würde sich Sorgen machen, ob ich krank bin. Ich pantomimiere für Dijana, dass ich ein bisschen spazieren gehen werde und sie gibt mir Geld, falls ich mir was kaufen möchte. Erst überlege ich, was ich denn kaufen wollen müsste, ich bekomme bei ihr doch alles, was Herz und Magen begehren! Aber dann fallen mir Postkarten ein, schließlich bin ich im Urlaub. Ja, Postkarten sind gut. Vielleicht finde ich welche.

Gestern Abend hat Dragan mir ein bisschen von der Geschichte Peckovars erklärt. Es ist eine zweigeteilte Stadt. Hier auf dem Berg ist das alte Peckovar und unten im Tal das neue. Dort sind die Schulen und öffentlichen Gebäude, das Rathaus und so weiter.
Noch vor hundertfünfzig Jahren befand sich das Stadtzentrum hier oben auf dem Berg, aber mit Ansiedlung der Metallindustrie wurde es zu klein und ein neues Zentrum wurde gebaut. Leider stand das neue Peckovar unter keinem guten Stern. Die beste Zeit der Neustadt war schon in den 1980ern mit dem Niedergang der großen Industriebetriebe vorbei, aber seit der Belagerung geht es bergab. Jedes Jahr ziehen mehr Leute weg als neue dazu kommen. Noch immer gibt es mitten im Zentrum Ruinen und baufällige Gebäude, um die sich niemand kümmert, weil Eigentumsfragen ungeklärt sind. Obdachlose hausen darin und manchmal stürzt etwas ein, weil die Witterung ungehindert daran arbeitet.
Auf dem Berg erinnert fast nichts an den Krieg. Die Leute sind geblieben oder schnell wieder gekommen, haben repariert, was beschädigt worden war und neu gebaut, was nicht zu retten war, und an allen anderen Stellen haben sie Büsche und Blumen gepflanzt, die die hässlichen Stellen überdecken.

Erstaunlich viele der älteren Bewohner können ein bisschen deutsch (die jüngeren haben am frühen Nachmittag keine Zeit, auf der Straße zu sitzen), und weil mittlerweile rundum bekannt ist, dass ich der Niederländer bin, der bei Dragan zu Besuch ist(323), komme ich sogar mit einigen Leuten ins Gespräch.
Sie wollen wissen, wie ich heiße, wie es mir geht und ob mir ihre Stadt gefällt. Hast du auch schon die Kirche angeguckt? Komm, setz dich in meinen Garten. Möchtest du was Kaltes zu trinken? Viele fragen auch, ob ich die Orte in Deutschland kenne, in denen sie als junge Leute gearbeitet haben. Aber von den wenigsten habe ich je gehört.
Der Wegbeschreibung zweier Männer folgend gehe ich zur Kirche, denn dahinter soll es ein Geschäft mit Postkarten geben. Wäre dieser Berg nicht, würde ich mich fast heimisch fühlen. Peckovar ist eigentlich recht ähnlich zu unseren kleinen niederländischen Städtchen. Es gibt enge Gässchen und kleine Häuschen, blau gestrichene Bänke davor und Blumenkübel, Gartenmauern und dahinter eine Blütenpracht. Aber eben alles so angeordnet, dass einem früher oder später die Puste ausgeht.
Oberhalb des Platzes mit der Kirche schließt sich ein weiterer Platz an, auf dem sicher mal Markt gehalten wurde. In der Mitte ist ein Brunnen. Ich erwäge kurz, meine Füße hinein zu halten, aber weil ich nicht weiß, ob das gern gesehen ist (und ich außerdem stadtbekannt bin), lasse ich es. Der Platz wird gesäumt von urigen Häusern, deren Bauherren sichtbar mehr Geld hatten als die der Gassenhäuser. Die Fassaden sind breiter und schmuckvoller – sofern sich das noch nach dem Nagen der Zeit erkennen lässt.

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