„Schalten. Und schneller werden.“
Ich beschleunige auf 60. Der Motor macht ein irrsinniges Getöse. Die Leitplanke hört auf.
„Schalten. Und du musst noch schneller werden.“
Achtzig.
„Schulterblick. Guck, der lässt dich rein.“
Ein Wohnmobil blinkt auf. Puh. Ich bin auf der Autobahn.
„So, und jetzt noch schneller. Und schalten. Fahr hundert.“
Er gibt noch ein paar Tipps, bis ich den fünften Überholvorgang gemeistert habe und auch die Scheu vor der Hundertzwanzig verliere, dann wird er immer stiller. Ich stupse ihn an, „He, bleib wach!“
„Jeremy, es tut mir leid. Es geht nicht. Ich versuche es, aber ich bin todmüde. Vielleicht hätten wir doch erst abends losfahren sollen.“
„Sind wir aber nicht. Und was mach ich jetzt?“
„Fahren. Und beten. In allen Sprachen, die du hast. Es tut mir wirklich leid, ich kann dir nicht helfen.“
Tja. Was bleibt mir anderes übrig?
Das Auto macht jetzt angenehme Autogeräusche, die beiden Jungs hinten haben sich Stöpsel in die Ohren getan und summen höchstens mal ein Stück Melodie mit. Nebenan geht das Schwalbenschnarchen los. Einatmen: chchchchrrr. Ausatmen: juiiiiii.
Chchchchrrr. Juiiiiii. Chchchchrrr. Juiiiiii.
Wie gut, dass ich mich durchgesetzt habe und er nicht mehr am Steuer sitzt. So richtig verkehrssicher ist er nicht. Aber hoffentlich schlafe ich gleich nicht auch ein.
Du kannst doch bei seinem Geschnarch gar nicht einschlafen, sagt Jesus.
Typisch Sohn des Höchsten. Er hat immer einen passenden Spruch parat.
Von Kilometer zu Kilometer komme ich besser mit dem Auto zurecht und auch die Überholvorgänge verlieren ihren Schrecken. Irgendwann traue ich mich sogar auf die linke Spur.
Als ich das dritte Mal auf der linken Spur bin, werde ich aggressiv von einem Autofahrer angeblitzt, dem es nicht schnell genug geht.(321) Mein erster Impuls ist, die Spur zu verlassen, aber rechts ist kein Platz. Da geht mir auf, dass der hinter mir nur blitzen kann, vielleicht auch hupen und böse Dinge über mich sagen oder denken. Aber mehr kann er mir nicht. Er wird sein Auto nicht verbeulen, um mich von der Spur zu vertreiben, wir sind ja nicht beim Autoscooter. Das Auto ist eine Schutzhülle um mich herum.
Mit Jesus ist es genauso. Er ist meine Schutzhülle. Nur wenn ich mich aus dem Zentrum seines Willens heraus bewege, verlasse ich diese Schutzhülle.
Es ist ein weiches, warmes und unglaublich beruhigendes Gefühl.
Am Stuttgarter Hauptbahnhof werde ich die beiden Brüder los. Der Vater bedankt sich für den Service, zahlt den vereinbarten Preis und weil sein Ältester sagt, ich sei „voll lahm“ gefahren, gibt er uns noch zehn Euro extra. Er begründet das damit, dass seine Kinder mal mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 180 km/h durch die Lande gebraust seien, und solche Raserei sollte verboten werden.
Das Navi geleitet mich zu der Pension, in der wir schon im Februar übernachtet haben und ich stelle das Auto auf dem benachbarten Parkdeck ab.
„Miloš. Wach auf.“
„Wo sind wir?“
„In Stuttgart an der Pension. Steh auf, dann gehen wir was essen und gleich kannst du in einem richtigen Bett weiterschlafen.“
„Geh ohne mich, ich habe keinen Hunger.“
„Jetzt pass mal auf, mein lieber Freund und Mitbewohner. Du wirst etwas essen. Mir ist egal, was du isst, aber du wirst etwas essen! Du hast heute früh ein Marmeladenbrot gegessen, das reicht nicht für einen ganzen Tag. Verstanden?“
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