„Was ist denn daran schlimm?“
„Nichts ist daran schlimm, ich stelle es nur fest: Es kann dir nicht schnell genug gehen.“
„Hast du Angst, dass ich immer noch nicht sesshaft bin?“
„Ich weiß, dass du es noch nicht bist.“
„Glaubst du, dass ich abhaue?“
„Nein. Du hast mir geschworen, dass du mich nicht verlässt und ich vertraue dir. Aber lass es doch langsamer angehen. Du hast Zeit. Viel Zeit.“
Seine Miene verhärtet sich. „Niemand weiß, wie viel Zeit ich habe.“
„Doch. Gott weiß es, auf die Sekunde genau. Und wenn er dir gesagt hat, du wirst sein Prediger sein, dann wirst du es sein, egal ob du mit zweiunddreißig damit anfängst oder mit zweiundneunzig. Er wird den Zeitpunkt bestimmen.“
Nachdenklich guckt er in mein Zimmer, denn die Tür steht wie immer offen. Seine ist immer zu.(318) Dann nickt er. „Danke, Jeremy. Ich muss Geduld und Gelassenheit lernen. Vor allem muss ich es langsam lernen. Geduld lernt man nicht ungeduldig.“
hundertfünfundsiebzigstes Kapitel
Wenn er in der vergangenen Woche nicht gearbeitet hat, hat er fast nur geschlafen. Er war nicht laufen, er hatte keine Energie für die Bandprobe, er hat sogar die Seelsorgestunde bei Theodorus abgesagt. Gegessen hat er auch nicht viel. Merle war vorgestern Abend zu Besuch und sie hat mir hinterher gesagt, dass er vier bis fünf Kilo abgenommen hat.(319) Ich weiß leider nicht, was ich tun kann außer zu beten. Er verweigert sich konsequent. Diese Krankheit, die er nicht mal Krankheit nennt, ist von alleine gekommen, sie wird von alleine gehen. Jesus ist sein Arzt und er braucht keine Medikamente. Basta.
Ich mag nicht mehr darüber nachdenken. Wir kriegen ja doch nur Streit.
Ich schaue aus dem Fenster auf die vorbeisausende Landschaft. Seit vier Stunden sind wir schon unterwegs, hinten sitzen zwei deutsche Teenager, die in Köln von ihrer Mutter zum Treffpunkt gebracht wurden und in Stuttgart von ihrem Vater abgeholt werden. Es ist eine kostengünstige Variante der Verschickung von Scheidungskindern, aber ich würde meine Kinder nicht in fremde Autos einsteigen lassen, selbst wenn der Fahrer elf von zehn möglichen Sternen in der Bewertungsskala seines Mitfahrprofils hat.
Immerhin müssen sie nicht ständig pinkeln, sodass wir zügig voran kommen.
„Ähm, Jeremy“, werde ich von hinten angestupst. Das ist Torben, der jüngere von beiden. Er ist vierzehn. Der andere heißt Tobias und ist sechzehn.
„Ähm, was gibt’s denn?“, frage ich.
„Könnt ihr mal anhalten?“
„Warum?“
„Ich muss mal.“
Das zum Thema! Manche Sachen sollte man nicht mal denken.
„Aber bis zum nächsten Rasthof hältst du es noch aus.“
„Ja klar.“
Ich gebe den Pausenwunsch an Miloš weiter.
Eine Viertelstunde später haben wir einen Rasthof erreicht und die beiden Jungs steigen aus. Die Mutter hat ihrem Großen (in meinem Beisein) eingeschärft, den Kleinen nicht alleine rumlaufen zu lassen. Es nervt ihn etwas, denn er schneidet Grimassen, aber er lässt seinen Bruder nicht aus den Augen.
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