Sie gähnt mir ins Ohr. „Glaub mir mal, ich hab kein Wort verstanden.“
„Wie geht es dir?“
„Wenn ich nur halb so scheiße aussehe, wie ich mich fühle, ist viel gewonnen. Das hat gestern Abend ziemlich lange gedauert, wir waren erst um fünf wieder hier. Aber saugeil. Und du willst beim nächsten Mal wirklich nicht mitkommen?“
„Nein, will ich wirklich nicht. Du hattest gesagt, dass du rüber kommen wolltest. Wann wird das denn ungefähr passieren?“
„Puh“, macht sie, „Weiß ich noch nicht. Ich bin ja gerade erst mal aufgestanden. Duschen, was essen, gut aussehen … arbeitet der Miko heute?“
„Nein, er hat frei. Warum?“
„Ach … sags ihm nicht weiter, ja?“
„Versprochen.“
„Der ist ganz schön seltsam geworden. Früher, also bevor der aus Peckovar abgehauen ist, da war der lockerer. Hat mehr Witze gemacht und so. Ich will ja nicht sagen, dass das an euch Holländern liegen würde, aber … na ja, also, mich stört das schon so ein bisschen, dass du oft so ernst bist. Vielleicht brauchst du einfach mal ein Bier oder zwei. Oder Wein. Soll ich nachher was mitbringen?“
Ich atme tief durch. „Ich hab dir doch erklärt, warum wir keinen Alkohol im Haus haben. Wir kaufen keinen, aber ich trinke auch keinen, wenn Miloš dabei ist.“ Im Übrigen dürfte sie die erste Person sein, die mir vorwirft, zu ernst zu sein!
„Bei Papas Geburtstag hast du Bier getrunken und er war dabei!“
„Ja, das hab ich getan, weil er es unbedingt wollte. Das kommt gelegentlich vor.“
„Er wollte, dass du Bier trinkst und deswegen tust du das? Krass, wie der sich verändert hat. Und auch krass, dass du dich ihm so … unterwirfst.“
„Das interpretierst du falsch. Ich unterwerfe mich nicht. Er ist mein Freund, deswegen tue ich ihm einen Gefallen.“
„Und der Gefallen war, dass du Bier getrunken hast?“
„Nein, der Gefallen ist, dass ich sonst keins trinke.“
„Heute könnte er dir ja den Gefallen tun und weggucken, wenn du mit mir Wein trinkst.“
Ich atme noch tiefer durch. „Soll er mir den Gefallen tun oder dir?“
„Uns beiden!“
Dieses Gespräch ist komplett sinnfrei. Ich will nicht wissen, was sie gestern geraucht und gesoffen hat. Und wie viel davon. „Du wolltest duschen, was essen, gut aussehen und dann hierher kommen“, erinnere ich.
„Kommen ist ein gutes Stichwort“, kichert sie.
Nicht schon wieder. „Ruf an, wenn du in Hoorn losfährst. Tschüss.“ Ich lege auf.
Miloš lehnt zwischen Säule eins und zwei und stellt jetzt fest: „Deutsch ist eine sehr seltsame Sprache. Erst recht, wenn man nur eine Hälfte vom Gespräch hört.“
Er sieht wieder ein bisschen lebendiger aus. Außerdem hat er sich die Haare gekürzt und in Form gebracht. Bei ihm ist das nicht so ein einfallsloses alles-gleichkurz wie bei mir, sondern vom Nacken bis zum Hinterkopf und rund um die Ohren kurz und oben auf dem Kopf etwas länger.(312) Präzise wie er ist, gelingt es ihm immer gleich gut. Nie würde es ihm passieren, dass ein falscher Aufsatz auf dem Rasierer steckt!
Morgens sehen seine Haare manchmal aus wie ein zerrupftes Vogelnest, weil da ja auch eine Portion Gel beteiligt ist, aber das bleibt nicht lange so, denn einer, der nicht unrasiert aus dem Haus geht, nimmt sich auch die Zeit für eine anständige Frisur.
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