3. Juni 2016

555

hundertsiebzigstes Kapitel

Ja, ich hätte ausschlafen können, aber ich durfte nicht. Irgendwann mitten in der Nacht hat Sloba sich zu mir gelegt. Die Sorge bezüglich meiner Moralvorstellungen im Halbschlaf ist unbegründet. Ihr ständiger Körperkontakt ist mir zu viel und mein Körper reagiert mit Abwehr, ganz automatisch, um einen weiteren Zusammenbruch zu vermeiden.
Merle sagt, ich solle ihr das erklären, damit sie mehr Abstand hält, aber was wird sie tun? Erst wird sie es nicht ernst nehmen, dann wird sie mich auslachen. Ich habe keine Lust mit ihr darüber zu reden. Und warum muss ich immer erst alles ansprechen? Merkt sie es nicht von alleine? Wenn Merle uns einen halben Abend zusehen muss und alles kapiert, warum dann sie nicht? Sie ist doch viel näher dran!
Viel zu früh werde ich wach, schlängele mich aus ihrer Umarmung (zum Glück schläft sie bei so was weiter) und gehe runter.
Miloš ist noch da. Ich hocke mich zu ihm an den Frühstückstisch.
„Hat sie dich geweckt?“
„Hm“, brumme ich.
Er holt eine Tasse, gibt mir von seinem Kaffee und gießt Milch dazu.
„Ich bin um eins fertig. Soll ich mitkommen, wenn du sie zur WG bringst?“
Ich nicke.
„Vielleicht leiht Sandrine mir ihr Auto, dann hole ich euch hier ab.“
Wer ist Sandrine? Er hat den Namen mal erwähnt …
„Übrigens hat Steven mir gestern das Okay für die Maiferien gegeben. Aber er sagt, ich kann nicht immer in den Schulferien frei machen, ich habe ja keine schulpflichtigen Kinder, und die Kollegen mit Kindern sind auf die Ferien angewiesen. Der Urlaub in Schweden bedarf sorgfältigerer Planungen als uns vorher bewusst war, sie enthalten nämlich jetzt auch Planungen von drei anderen Personen mit insgesamt fünf Schulkindern.“
Ich kapier nix mehr.
Er guckt mich an mit einem Blick der Erkenntnis. „Geh in mein Bett und penn weiter. Da liegt sie nicht.“
„Ich will kein Bett, ich will meine Ruhe“, muffele ich.
„Kopf hoch, Bruder. Sechs Stunden, dann ist sie weg.“

Ich sitze ziemlich lange am Tisch und schlürfe meinen kälter werdenden Kaffee. Sie geht uns beiden auf die Nerven. Im Moment kann ich nicht mal sagen, wem von uns beiden mehr. Bestimmt hat Sloba ihm gestern Abend von ihrem Verdacht zu Nieke und mir gesagt.
Wie ich ihn so kenne, hat er freundlich zugehört – und weiter nichts, denn er hat mir versprochen, sich nicht in meine Beziehung einzumischen.
Wie ich sie so kenne, hätte sie gerne mehr Reaktion gehabt.
Ich weiß nicht, ob ihm klar ist, dass er damit seinen Schwur erfüllt. In Krieg und Frieden und allen schwierigen Momenten dazwischen ist er nicht uns beiden ein Freund, sondern ist er auf meiner Seite.
Schließlich falte ich mich auf dem Sofa zusammen und ziehe seine Decke über mich. Er hat geschwitzt letzte Nacht. Der Geruch ist Teil der Geruchskomposition „Heimat“.

Erst um zehn wache ich mit tauben Beinen auf und taumele zum Klo.
Als hätte sie nur darauf gewartet, kommt gleich darauf Sloba die Treppe herunter und betritt ebenfalls das Bad.
„Guten Morgen“, trällert sie und küsst mich, ich drehe aber den Kopf weg und der Kuss landet auf dem Ohr.
„Kannst du bitte draußen warten, bis ich fertig bin?“, frage ich.

Keine Kommentare: