3. Juni 2016

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Ich ziehe mein Karohemd und das grüne T-Shirt aus und dafür das schwarze an. Es passt wie für mich gemacht.
Sloba liefert die Erklärung dafür: „Ich hätte XXL genommen, das ist dann jedenfalls nicht zu klein, aber Nieke hat gesagt, dass L reicht, weil du ja nicht besonders dick bist. Haha, nicht besonders dick ist eine schöne Umschreibung!“
Ich stopfe es in den Hosenbund und ziehe das Hemd wieder darüber, denn nur kurze Ärmel sind mir heute zu kalt.
„Wir waren eben übrigens auch in der WG. Katy und Gianna sind cool drauf. Katy ist Niekes Schwester. Die hat mir auch gezeigt, wo ich am Montag hin muss, mit dem Bus dauert es eine halbe Stunde. Deswegen werde ich morgen schon einziehen.“ Sie zieht das T-Shirt aus meinem Hosenbund. „Wir haben also noch eine Nacht für uns.“
Ich schiebe ihre Hände beiseite. „Ich penne in meinem Bett und du in deinem.“
„Aber ich denk, du hast mir verziehen?“
Das wird mir alles schon wieder viel zu eng und zu kompliziert. „Ja. Ich habe aber auch gesagt, dass ich Zeit brauche. Verstanden? Und jetzt muss ich leider weg.“
„Wo willst du hin?“
„Weg“, sage ich.
„Triffst du dich mit der Nieke?“
„Wie kommst du denn darauf?!“
„Die wollte mir auch nicht sagen, was sie noch vorhat. Ich hab genau gesehen, wie ihr euch anguckt. Ich warne dich, verarsch mich nicht.“
„Wie kommst du nur auf so eine Scheiße?“ Ich ziehe die Schuhe an, nehme meine Jacke vom Haken und will raus.
Sie hält mich fest. „Wenn du dich nicht mit ihr triffst, kann ich ja auch mitkommen.“
„Nein, kannst du nicht. Und übrigens, es könnte länger dauern.“

Sind wir schon so weit in unserer Beziehung, dass wir uns anlügen?
Ich weiß nicht, ob sie mich belügt, aber ich hasse es, sie anzulügen. Leider lässt sie mir keine andere Wahl. Ich kann den Abend nicht zuhause verbringen, es geht einfach nicht. Man kann keinen Film gucken und kein Karten- oder Würfelspiel mit ihr anfangen, daran hat sie kein Interesse, sie will nur eins. Sex mit mir. Sie wird mit allen Mitteln versuchen, mich zu verführen. Meine Einstellung zu ändern. Meinen Widerstand zu brechen. Mich davon zu überzeugen, dass es mir gefallen wird mit ihr.
Genau wie dieser Bernd, fällt mir auf. Wenn das stimmt, was sie mir von ihm erzählt hat(307), ist der auch so sehr von seiner Sache überzeugt, dass er andere Ansichten nicht akzeptiert.
Vielleicht bin ich nicht so weit davon entfernt, Miloš hat mir das ja auch vorgeworfen, kurz bevor wir Blutsbrüder wurden. Allerdings glaube ich – hoffe ich! – dass ich mich seitdem gebessert habe.

Dieser Ort, zu dem ich angeblich so dringend hinmusste, ist der Proberaum. Schade, dass die anderen heute alle keine Zeit haben.
Ich setze mich hin und trommele mich warm. Bald schon kann ich das Hemd ausziehen. Dann nehme ich die Kopfhörer und übe ein paar unserer Lieder, komme auf andere Gedanken, trommele ein paar Lieder von anderen Bands, spiele dann auf der Gitarre zu ein paar weiteren, versuche Nirvanas „Come as you are“ einen anderen Text zu verpassen und als ich das nächste Mal auf die Uhr gucke, ist schon fast Mitternacht.
Hoppla, das ging aber schnell.
Weil Miloš morgen früh auch arbeitet, werden wir uns nicht die Freie Kirche in der Rozenlaan ansehen, das heißt, ich kann ausschlafen. Und hier noch eine Weile weitermachen.
Ich singe die Neuschöpfung zu Nirvanas Melodie noch einmal mit Gitarrenbegleitung durch und als sie mir gefällt, nehme ich sie auf. Ebenso verfahre ich mit dem Schlagzeug. Dann höre ich mir beides zusammen an. Gut, dass ich eine Band habe! Ein Musikerdasein, in dem ich alle Instrumente alleine einspielen müsste, wäre mir entschieden zu langweilig.
Ich bin schon ganz gespannt, was die anderen dazu sagen werden. Vor allem Miloš, dessen Herz nicht nur leidenschaftlich für Shakira, sondern auch für Grunge (und Dubstep) schlägt. Der Kerl steckt voller Gegensätze.

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