Merle hat ausgerechnet an diesem Samstag keine Zeit, es ist eins der seltenen Arbeitswochenenden in „Tonis delicatessenwinkel“. Miloš wird übrigens auch da sein, sobald er seine sechs Stunden im Brotladen abgeleistet hat.
Mir steht also ein ruhiger Samstag ins Haus. Kurz erwäge ich, Pieter oder Cokko anzurufen, vielleicht hat ja einer Zeit, aber dann genieße ich es, mal keine Leute um mich zu haben. Seit anderthalb Wochen sind diese Momente rar geworden.
Ich putze meine liebe Küche von oben bis unten, danach sorge ich für neue Krümel, backe Brot, bereite das Abendessen vor und verziehe mich dann aufs IJsselmeer.
Es ist windig und regnerisch und wunderbar. Und April.
Ich mag den April, er bietet so viel von allem. Hätte ich es mir damals aussuchen können, wäre ich gerne im April zur Welt gekommen.
Wie kann es jetzt nur so schütten, obwohl gerade noch die Sonne vom Himmel knallte? Es ist fast windstill, dann reißt mir eine Böe das Segel aus der Hand. Der Regen prasselt hernieder, im nächsten Moment erstrahlt ein Regenbogen als Halbkreis von Land zu Meer.
Das Zeichen des Bundes.
Das Zeichen des Friedens mit Gott dem Allmächtigen.
Oft fühle ich mich überfordert und durch die Gegend geschubst, gerade wenn etwas meine Routine durchbricht – das muss nicht mal so eine bosnisch-serbische Naturgewalt sein.
Hier draußen jedoch ist das alles weit weg, mein Körper lüftet, die Seele breitet sich aus und ordnet sich neu, der Geist atmet durch.
Die ganze Schöpfung ist nur dafür geschaffen, betrachtet und bestaunt zu werden. Was dich zum Wundern bringt, ist ein Wunder!
Ich wundere mich ausgiebig und komme erst heim, als ich vor lauter Hunger an nichts anderes mehr denken kann.
Es ist noch niemand da und deswegen esse ich alleine. Auch das tut gut nach der emotional aufreibenden Woche und der Stille des heutigen Tages.
Das mit der Stille hört allerdings kurz danach auf, als vorm Haus ein Auto hält, Türen schlagen und es klingelt.
Sloba will hereingelassen werden.
„Hast du keinen Schlüssel?“, begrüße ich sie.
„Doch, aber ich komm nicht dran. Halt das mal“, weist sie mich an, und als ich alle Hände voller Taschen und Tüten habe, nutzt sie die Gelegenheit und küsst mich.
„Ist Nieke noch auf Parkplatzsuche?“, will ich wissen, als ich wieder reden kann.
„Nein, die wollte nach Hause. Die hat noch irgendwas vor.“
Auf Tisch und Sofa breitet sie aus, was ab sofort ihren Kleiderschrank füllen wird: drei kurze Röcke(306), eine Jeans, zwei Blusen (eine weiß, eine knallrot), diverse Shirts mit und ohne Ärmeln und allerhand Unterwäsche. Ich hab ja keine Ahnung von Bordellen, aber das könnte man dort auch anziehen. Eine Tüte ist übrig geblieben. Ich traue mich kaum zu fragen, was sie enthält. Noch mehr so knappes Zeug? Sloba nimmt sie aber schon und reicht sie mir hin. „Das ist für dich“, strahlt sie mich an.
„Oh, ähm … danke“, mache ich skeptisch. Sind wir schon so weit in unserer Beziehung, dass sie Klamotten für mich einkauft? Ich öffne die Tüte und atme innerlich auf. Nur ein T-Shirt. Es ist schwarz und auf der Brust prangt eine niederländische Flagge, nur die Reihenfolge ist falsch: der blaue Balken ist in der Mitte – somit ist es die serbische Flagge. „Danke“, wiederhole ich mit mehr Überzeugung.
„Das hing so im Geschäft rum, ich musste es kaufen“, lacht sie. „Da waren auch die Flaggen von allen möglichen anderen Ländern. Na los, zieh es an!“
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