2. Juni 2016

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Kurz bevor das Publikum annehmen muss, in einem reinen Schlagzeugkonzert gelandet zu sein, betritt glücklicherweise Miloš die Bühne.
Jede Wette – er hat es genossen!
Nieke fiedelt schon auf dem Weg zu ihrem Platz. Ich habe keine Ahnung, was sie da aus den Saiten holt, aber ein Teil des Publikums jubelt. Es muss Liedgut irgendeiner vertretenen Nation sein. Sie hat ein unglaubliches Repertoire.
Zum Schluss stürmt Merle ans Mikro und los geht’s.

Nach dem zweiten Lied stellt sie uns vor. „Wir sind Donnerdrummel aus Zuyderkerk. Beim zwanzigjährigen Jubiläum des Coec im letzten Herbst waren wir schon dabei, der eine oder andere kennt uns vielleicht noch. Lisanne mit dem Akkordeon nimmt leider gerade eine Auszeit, aber dafür haben wir Nieke gefunden, und ich kann euch sagen, Leute, sie ist kein Ersatz, sie ist eine Ergänzung. Ihr werdet das gleich erleben. Wir wünschen euch viel Spaß!“
Wir nutzen es genüsslich aus, dass wir mehr Zeit haben als die Dreiviertelstunde, die den anderen Bands eingeräumt worden ist.
Ich hole einen Ersatztrommler auf die Bühne, um selber Gitarre zu spielen und meiner Furie ein Liebeslied zu singen, dann tauschen wir ein paar Mal die Plätze. Ich singe dab-daba-da und Miloš kann seine ungehobelten Schlagzeugrhythmen in die Menge pfeffern.
Merle macht Umfragen, unser Evangelist predigt dreisprachig – serbisch, russisch und niederländisch. Zugleich. In Prinzip sagt er jeden Satz dreimal, aber eben in verschiedenen Sprachen. Er hat das gut vorbereitet, je Sprache hält er einen kleinen Stock mit der Landesflagge hoch und wechselt zudem den Standort. Er vertut sich kein einziges Mal. Wie er das alles in seinen Kopf kriegt, ist mir ein Rätsel.
Zum Glück ist es eine kurze Angelegenheit. Eigentlich sagt er bloß das: Jesus liebt dich und er wird Himmel und Erde in Bewegung setzen, um Zeit mit dir zu verbringen. Das will er: eine Beziehung mit dir. Ihm geht es nicht um Pflichterfüllung, denn er liebt dich!
Es läuft richtig gut für uns als Band, kein Vergleich zu den beiden ersten Vorbands, bei denen beim Soundcheck so einiges knirschte und krachte und mancher Ton daneben ging. (Viel mehr als das habe ich ja nicht mitgekriegt.) Wir kommen uns vor wie alte Hasen, was uns aber nicht davon abhalten kann, einen Heidenspaß zu haben.
Merle entfesselt die Halle, sie reißt alle mit. Das Publikum tut, was sie sagt, es klatscht, ruft, jodelt, wie sie es gerade bestimmt.(298)
Auch Nieke dreht auf. Sie ist eine großartige Musikerin. Keine Ahnung, wie sie in der kurzen Zeit alle unsere Titel gelernt hat, vielleicht improvisiert sie auch einfach sehr geschickt.
Aber egal wie gut es beim Rotieren zwischen Miloš und mir auch laufen mag – irgendwann ist ein Punkt erreicht, ab dem wir ohne uns absprechen zu müssen am eigenen Instrument bleiben. Dafür machen wir lang genug zusammen Musik.
Er zupft und schrubbt und hackt die Saiten seines Basses, entlockt ihm Töne, die ich nie darin vermutet hätte; er singt und brüllt und röhrt unsere serbischen Lieder, als gäbe es kein Morgen. Ich weiß nicht, wie viel seiner Vorstellung von ihm ist und wie viel vom Heiligen Geist, aber man kann leichter Tinte von Wasser trennen als da eine klare Linie festlegen.
Ich habe bald eine Art Trance aus Erschöpfung und Euphorie erreicht. In dem Zustand brauche ich kein Publikum und keine Band, die mich vorwärts peitschen, es gibt nur noch die Trommeln und mich. Vermutlich werden sie mich nachher von der Bühne tragen müssen. Aber das ist mir egal!

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