2. Juni 2016

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„Du hast fünftens und sechstens vergessen.“
„Eines Tages knall ich dir eine, Jeremy.“
„Das mag ich ja an unserem Bassist. Es gibt keine Überraschungen“, sage ich und erlebe sofort eine: er stürzt sich mit Gebrüll auf mich. Ich kann so schnell nicht reagieren, wie er mich schon gepackt hat und mich durchkitzelt. Schreiend und quiekend versuche ich mich zu befreien und ihn daran zu hindern, mir auch noch heiße Ohren zu verpassen und erreiche – nichts.
„Kriegt euch mal wieder ein, Jungs“, macht Merle gelassen. „Oder wollt ihr endlich noch mal ein Bandmitglied vergraulen, jetzt, wo ein Auftritt ansteht?“
„Neiheihein“, winde ich mich kichernd. „Lass mich lohohos!“
Er erfüllt meinen Wunsch und ich sinke nach Luft schnappend zu Boden. Meine Ohren glühen vermutlich.
Als wäre nichts passiert, nimmt er den Stift wieder zur Hand. „Das hasse ich an unserem Schlagzeuger, dass er immer das letzte Wort haben muss. Wo war ich stehen geblieben?“
Merle gibt ein Stichwort: „Machen wir noch mal Kinderkrach?“
„Warum nicht? Beim ersten Mal im Coec hatten wir keinen. Ist notiert.“
Ich rappele mich schnaufend auf und werfe einen prüfenden Blick zu Nieke. Haben wir sie vergrault? Das wohl nicht, aber eingeschüchtert. Oh nein, ich will sie behalten! Nach der Probe muss ich dringend mit ihr sprechen.
Merle hat es auch gesehen. „Wir laden uns demnächst bei Jeremy zum Essen ein und dann erzähl ich dir, was ich mit den zwei Verrückten schon erlebt habe“, verspricht sie. „Insgesamt sind es liebe Jungs, nur halt manchmal etwas laut.“
„Ich weiß nicht, welcher Punkt das in deiner Liste ist, aber wir sollten heute noch ein bisschen Musik machen und der Auftritt ist in … ähm, heute ist Dienstag, also in ähm, zwölf Tagen, also proben wir nur einmal von heute abgesehen oder zweimal oder was habt ihr vor?“
„Ist dein Wortschätzchen durcheinander geraten?“, erkundigt Miloš sich mitfühlend.
„Das gibt sich mit der Zeit. Weißt du, wie … ähm, Dings … aufgewirbelter Staub.“
„Übrigens sind es elf Tage.“
Ich darf ihm das nicht durchgehen lassen, oder? Ich bin der Bandchef! „Du kriegst ab sofort nur noch Gemüse.“
„Ich rufe die Genfer Konvention! Amnesty International! Der Kerl will mich foltern!“
„Jungs!“, ruft Merle gespielt verzweifelt, „Bitte! Kon-zen-tra-tion!!“

Wir packen unseren Kram zusammen; Miloš ist wie immer schneller sortiert, stellt sich neben mich und verbreitet Ungeduld.
„Fahr ohne mich.“
„Willst du mich loswerden?“
„Ja.“
„Habt ihr neuerdings Geheimnisse voreinander?“, grinst Merle.
„Ich werde gleich sogar eins vor dir haben“, grinse ich zurück und zu Nieke: „Bleib bitte noch einen Augenblick hier.“
„Warum?“, will sie wissen.
„Müssen die beiden nicht hören. Sonst wäre es ja kein Geheimnis.“

Als sie sich verabschiedet haben, fange ich an: „Ich glaub, es ist gerade ein guter Zeitpunkt, dir die Band zu erklären. Wir sind ein lauter Haufen, weil wir vorlaute Labertaschen sind. Zwei Dinge in dieser Band sind wichtig. Wenn dir was nicht passt, wenn dir was Bauchschmerzen bereitet, wenn du mit einem von uns nicht zurecht kommst: rede. Sprich es an. Wir wollen, dass unsere Band funktioniert, wir wollen auf die Bühne. Deswegen können wir es uns nicht leisten, dich zu vergraulen. Ja?“
Sie nickt.

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