1. Juni 2016

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hundertzweiundsechzigstes Kapitel

Das virtuelle Treffen mit Sloba am gleichen Abend war weniger erquicklich. Ich wollte ihr von der Hochzeit und den wilden Kroaten erzählen und wie gut Nieke zur Band passt. Sie hat die ganze Zeit nur dumme Kommentare abgegeben, und als ich sie gefragt habe, worüber sie lieber reden will, hat sie sich ausgezogen. Ich habe zwei Möglichkeiten, dem aus dem Weg zu gehen, nämlich indem ich entweder weg gucke oder das Gespräch beende – das ist effektiver. Ich habe es mehrfach angekündigt und dann umgesetzt.
Ich weiß nicht, warum sie das immer wieder tut. Ich habe ihr gesagt, dass ich es nicht möchte. Es ist total frustrierend für mich. Ungefähr wie damals, als ich mit sechs Jahren mit meinen paar Cent in der Hand im Bonbonladen stand und die geliebten Lakritzschläuche nicht mehr einzeln verkauft wurden, sondern nur noch zu zehn Stück in der Tüte. Für einen ganzen Gulden. Unerreichbar.
Sie hört mir nicht zu, sie lacht über mich, sie nimmt meine Bitten nicht ernst, und wenn ich am nächsten Tag noch einmal drüber sprechen will, weiß sie von nichts und gibt das Unschuldslamm. Es stimmt, ich habe mich als erstes in ihr Lachen verliebt, aber muss sie denn immer lachen? Über alles? Kann sie mich nicht mal ernst nehmen? Manchmal denke ich, dass wir zwei verschiedene Sprachen sprechen. Hoffentlich wird das in den Maiferien besser, wenn wir uns wieder in Echt sehen.

Miloš wäre nicht Miloš, wenn er sich Zeit lassen würde mit den Adressen für neue Kirchen. Schon als er am Dienstag von der Arbeit kommt, präsentiert er mir seine Liste. Zwei sind in Hoorn, drei in Alkmaar, eine in Lelystad. Natürlich hat er sich erkundigt, um welche Art von Gemeinschaften es sich handelt, wie groß sie sind, welche Erwartungen an die Mitglieder gestellt werden und was so das allgemeine Glaubensverständnis ist.
Ich darf mir aussuchen, wohin wir als erstes gehen, und weil ich das nicht entscheiden kann – schließlich kenne ich niemanden und Namen sind Schall und Rauch – tippe ich auf die oberste Listenzeile. Es ist eine Gruppe namens VKR, das ist die Abkürzung von „vrije kerk Rozenlaan“, was nicht sehr viel über sie aussagt, denn Rozenlaan ist die Adresse im Osten von Hoorn. Dort treffen sich etwa achtzig Personen am Sonntagvormittag; der Gottesdienst beginnt um halb neun, die erste Stunde gehört nur der Anbetung. Man kann auch um halb zehn kommen. Das restliche Programm dauert anderthalb Stunden. Unter der Woche gibt es noch weitere Veranstaltungen, aber um die werden wir uns später kümmern können.
„Leider muss ich am Sonntagvormittag arbeiten, aber du kannst ja ohne mich hingehen.“
„Dazu hab ich keine Lust. Wenn wir zusammen eine neue Kirche suchen wollen, will ich, dass wir zusammen da aufkreuzen.“
„Dann gehen wir nächstes Wochenende hin“, sagt er und damit ist es beschlossene Sache.

Später am Abend werden wir vor eine weitere Entscheidung gestellt.
„Hallo allerseits, es ist so weit!“, trällert Merle, als sie in den Proberaum kommt. „Freut euch, wir können auf die Bühne!“
„Wo?“, will ich wissen.
„Im Coec!“
„Jippie!“, lache ich. „Worum geht’s?“
Merle holt ein Blatt Papier aus ihrer Handtasche und faltet es auf. „David Kuiper schreibt: Hallo liebe Merle, ich freue mich sehr, und so weiter und so fort, seit einigen Jahren veranstaltet das Coec am ersten Wochenende nach Ostern ein „Frühjahrsoffensive“ genanntes Kulturfest, bei dem ich euch sehr gerne auf der Bühne hätte. Das Fest geht von Samstag- bis Sonntagnachmittag und wie wäre es, wenn ihr Samstagabends auf die Bühne kommt und den Tanzwütigen einheizt? Ihr werdet mit drei anderen Bands spielen, eine kennt ihr schon, es sind „Eurocent“ aus der Nähe von Enschede.“
„Geil!“, freut Miloš sich. „Sind wir wieder die letzte Band des Abends?“
„Ja. Er deutet es zwischen den Zeilen an, dass er den Eurocents noch nicht zugesagt hatte, dass sie die letzte Band wären, als er meine Anfrage gefunden hat. Scheint so, dass das Bandsetting eigentlich schon komplett gewesen war. Mit David Kuiper haben wir einen ziemlich einflussreichen Fan gewonnen.“(293)
„Aber du hattest doch schon im Februar gefragt, wieso antwortet er erst jetzt?“
„Er schreibt, dass er eine Weile in Kroatien gewesen ist, seine Mutter besuchen. Ich hatte die Mail aber an ihn persönlich geschrieben, nicht ans Coec allgemein.“
Nieke hat jetzt auch eine Frage. „Warum ist das mit der letzten Band des Abends so wichtig für euch?“
„Weil wir dann viel Zeit auf der Bühne haben. Er lässt rüberkommen, dass jeder Band eine Dreiviertelstunde zusteht und er schwer enttäuscht sein wird, wenn wir uns daran halten. Wir können jeglichen Blödsinn anstellen, nach dem uns zumute ist. Stell dich auf einen langen Abend ein. Als wir im November da waren, hatten wir nur die Eurocents vor uns. Das sind fünf Kroaten, die heißen Yugo-Ska-Pop spielen. Als wir jedes Lied einmal durch hatten und die Leute immer noch mehr hören wollten, haben wir die Jungs dazu geholt und einfach zusammen weiter gemacht“, erzählt Merle. „Was ist mit dir? Hast du Zeit?“
Sie holt ihr Smartphone heraus. „Fünfter April, ein Samstag … aha, Tante Truus feiert Geburtstag. Aber ich glaube, sie wird es ohne mich aushalten. Ich bin dabei.“
„Hervorragend. Ich sage ihm mal eben Bescheid.“ Sie zückt ebenfalls ihr Mobiltelefon. „Hallo David! Dies ist die Liveschaltung in den Proberaum deiner letzten Band für die Frühjahrsoffensive. Wir freuen uns auf den Abend! Herzliche Grüße von den Donnerdrummels aus Zuyderkerk.“ Sie legt auf und fragt: „Was spielen wir?“
„Heute oder im Coec?“, will ich wissen.
„Im Coec natürlich.“
„Welche unserer Titel kannst du am besten?“, wende ich mich an Nieke.
„Richtet euch bitte nicht nach mir. Wenn ich einen Titel nicht kenne, denke ich mir was hübsches für ihn aus. Stellt die Setliste so zusammen, wie es euch gefällt.“
Miloš hat schon Schreibzeug geholt. „Wir brauchen einen Fahrer, zweitens: übernachten wir da? Hast du Inekes Telefonnummer noch?“, fragt er Merle und schreibt parallel mit. „Lisanne hat sie auf jeden Fall. Wenn wir nicht dort pennen können, wo sonst? Vorsichtshalber Schlafsack und Isomatte mitnehmen. Drittens muss der Termin auf die Homepage … Nieke, wir brauchen dafür noch ein Foto von dir, möglichst mit Geige … viertens, machen wir Werbung, wenn ja, wo und wie viel? Haben wir Helfer? Siebtens bis zehntens fällt uns gleich ein.“

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