1. Juni 2016

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Mit der Jacke und einem Tablett, darauf sich eine angebrochene Weinflasche nebst Glas, ein Bier und ein Schüsselchen Knabbergebäck befinden, kehre ich zurück.
Sie hat sich in der Zwischenzeit eine neue Zigarette angesteckt und weiß jetzt nicht, wohin damit. Ich stelle das Tablett auf die Bank und nehme sie ihr ab.
Sie zieht meine Jacke aus, ihre an und nimmt die Zigarette zurück. „Wieso trinkst du Bier?“, wundert sie sich nach einem Blick auf meine sonstigen Mitbringsel.
„Wieso sollte ich keins trinken?“
„Hast du nicht gesagt, du trinkst keinen Alkohol?“
Jetzt wundere ich mich auch. „Nein.“
„Aber als ich das erste Mal bei dir gewesen bin, hast du gesagt: was willst du trinken, und ich: Wein, und du: ich trinke keinen Alkohol“, rekonstruiert sie das Gespräch.
„Ach so, das meinst du! Das hat andere Gründe. Miloš hat einen ziemlich ungesunden Umgang mit Alkohol gehabt und da hat Gott ihm kurz nach seiner Umkehr geraten, mal ein Jahr drauf zu verzichten. Deswegen gibt es bei uns im Haushalt keinen Alkohol.“
„Klappt es gut?“
„Ja. Er ist sehr diszipliniert. Und wenn das nicht reicht, holt er sich Hilfe.“
Wie einfach diese Erklärung sein kann, wenn das Gegenüber eine ähnliche Beziehung zu Gott hat! Sloba hat es nicht kapiert. Helena habe ich gar nicht erst davon erzählt. Cokko findet es zwar vernünftig, versteht aber nicht, was Gott damit zu tun hat. Und Merle hat es nur begriffen, weil sie das mit dem schlechten Umgang vielleicht auch so gesehen hat. Und weil sie ihn mag und seine Entschlüsse respektiert. Und weil sie an Gott interessiert ist.
„Er verzichtet übrigens auch ein Jahr lang aufs Kiffen und auf Beziehungskisten.“
„Unser Gott ist so gut“, lächelt sie. „Ein komplettes Entgiftungsprogramm für den neuen Christen. Es ist gut, dass du mir davon gesagt hast.“
Ein Lachen platzt aus mir hervor: „Hättest du sonst was mit ihm angefangen?“
Sie lacht mit. „Nein, aber vielleicht kommt die Band … meine Band … mich ja mal besuchen. Da ich das alles weiß, werde ich alkoholfreie Getränke hinstellen.“ Und nach ein paar Atemzügen: „Also, ich kenne ihn ja kaum, aber … er ist kleiner als ich. Ich stehe mehr auf große Männer.“
„Aha“, stelle ich amüsiert fest, „solche wie mich.“
Sie lacht. „Das hat dir vermutlich noch keine Frau gesagt, aber ich denke, du bist zu klein. Ich trage gerne hohe Absätze, und ich will einen Mann, der dann auch noch größer ist als ich.“
Ich und zu klein! Das habe ich zuletzt als Kind zu hören bekommen! Ich schnappe mir ihren rechten Schuh.
„He!“, protestiert sie überrascht, „Gib mir meinen Schuh zurück!“
„Später, Aschenputtel“, grinse ich und betrachte den dunkelroten Stöckelschuh von allen Seiten. Sie will ihn einfangen, aber mein Arm ist länger. „Wie kann man darauf bloß gehen?“
„Übungssache. Außerdem sind das nicht meine höchsten Absätze.“
„Wie hoch sind deine höchsten Absätze?“
„Vier Zentimeter mehr.“
„Aber damit bist du dann auch nicht größer als ich.“
„Doch“, sagt sie.
„Wetten?“, halte ich dagegen.
„Um was wetten wir?“
„Einmal fein essen gehen im Restaurant.“
„Abgemacht. Aber wie willst du das jetzt feststellen? Ich habe die Pumps ja nicht dabei.“
„Ganz einfach. Warte.“ Suchend gehe ich durch das dunkle Gärtchen und stolpere fast über einen schweren Stein. „Hier!“
„Was ist hier?“
„Komm her, ich habs gefunden.“
„Soll ich auf Strümpfen laufen oder bringst du mir erst meinen Schuh zurück?“
Oh, pardon! Ich nehme zwei der herumliegenden Backsteine, die wahrscheinlich von jenseits der Bahnlinie stammen, und bringe sie mit zur Bank. Dort knie ich mich vor Nieke auf den Boden und tue, was der Prinz mit dem Aschenputtel getan hat.(290)

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