1. Juni 2016

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„Falsch“, wende ich ein, „Davids Vermittlung wird nicht der erste Termin sein, zu dem wir öffentlich spielen. In genau achtzehn Tagen ist die Hochzeit.“ Der Termin steht im Bandkalender an der Proberaumtür und auch im Kalender zuhause, er ist seit Wochen bekannt. Scheint so, dass er das immer noch am liebsten verdrängt.
„Gibt es zu der Hochzeit noch irgendwas wichtiges zu wissen?“, fragt Nieke. „Es ist ja leider so, dass ich niemanden von der ganzen Gesellschaft kenne.“
„Sehr guter Einwurf. Ich hoffe, du hast was schickes zum Anziehen? Ich möchte nicht, dass du da in Alltagskleidung auftauchst.“
„Fucking Stilikone!“ Merle guckt mich belustigt an, „Was geht denn bei dir ab?“
„Das gilt auch für dich. Schmeiß dich so richtig in Schale. Ich möchte mir nicht overdressed vorkommen.“
Overdressed!“ Sie schnappt vor Lachen nach Luft. „Woher kennst du solche Wörter? Und womit willst du dir overdressed vorkommen, mit Jeans, grün-orange und Turnschuhen?“
„Nein“, antworte ich pikiert. „Ich werde mich dem Anlass entsprechend anziehen.“
„Was genau meint er damit?“, will sie von Miloš wissen.
Der grinst die ganze Zeit schon. „Das wirst du dann sehen.“


hundertneunundfünfzigstes Kapitel

Eigentlich denkt man ja bei jedem Brautpaar, dass es wunderschön ist; die Leute haben sich besonders herausgeputzt. Aber Lisanne und Zoran sind wirklich ein bildhübsches Paar. Sie trägt ein schulterfreies und bodenlanges, elfenbeinfarbenes Irgendwas, für das mit kein Wort einfällt (Merle weiß sicher eins, aber zwischen uns sitzen Miloš und Nieke, ich will in der Kirche nicht herumtuscheln) mit Rüschen und Perlen und Stoffblümchen, dazu so ein Mittelding aus Schleier, Schleppe, Schal – entzückend. Zoran hat einen schwarzen Anzug an; Hemd und Krawatte sind in der selben Farbe wie ihr Kleid.
In der Reihe hinter ihnen sitzen die Trauzeugen sowie seine und ihre Eltern und Großeltern, links daneben die versammelten Geschwister mit Anhängen. Groß und klein zusammen sind es so an die dreißig Leute.(287)
Übrigens können wir uns auch sehen lassen. Nieke trägt ein eng anliegendes, weinrotes Kleid mit langen Ärmeln und tiefem Ausschnitt, das unten ganz asymmetrisch endet. Merle hat ein blausilbrig glänzendes Kleid mit passendem Jäckchen an und auch da fehlen mir die Worte. Sie hat mir verraten, dass sie heute noch beim Frisör war. Ich will nicht behaupten, es sei nötig gewesen, aber die Arbeit hat sich gelohnt. Wenn Hochzeiten der Anlass sind, dass Merle sich so fein macht, sollte es mehr Hochzeiten geben.
Miloš hatte natürlich recht, als er meinen Hang zu extravaganten Krawatten voraussah! Ich habe mir letzte Woche eine aus Kirschbaumwurzelholz gekauft. Sie sieht wunderbar aus mit der rötlichen Wurzelstruktur und sie hat einen irrsinnigen Vorteil: man muss sie nicht knoten. Wie sollte man auch einen Knoten ins Holz kriegen? Die einzelnen Holzelemente sind auf der Hinterseite mit Stoffstreifen verbunden und diese Streifen knöpft man sich um den Hals; hinterher sieht man sie nicht mehr, weil ja der Hemdkragen darüber kommt.
Mein werter Freund ist fast in Ohnmacht gefallen, als er sie vorhin das erste Mal gesehen hat. Wir haben uns nämlich erst hier in der Kirche getroffen. Er musste bis Mittags arbeiten, ich war vorher schon hier, um bei letzten Vorarbeiten zu helfen. Noch näher an der Ohnmacht war nur Merle, als sie mich in meiner ganzen Pracht gesehen hat. Als sie sich ein bisschen erholt hatte, hat sie irgendwelche Dinge vor sich hin gemurmelt, man hätte irgendwas eher wissen müssen, aber sie hat das nicht für mich wiederholt, als ich nachgefragt habe.
Beim Einmarsch, vor der Begrüßung, vor und nach der Predigt, nach dem Hochzeitssegen und beim Auszug des Brautpaares sind wir mit Musik gebucht, und weil man ja dazu noch sein gesungenes Wort verstehen soll, habe ich nur Snare und Hihat mitgebracht.
Wir bekommen keine der üblichen Hochzeitsandachten serviert mit Korinther 13 (wenn ihr die ganze Welt besäßet und hättet die Liebe nicht, so wäre alles umsonst) oder erstem Mose (der Mensch soll nicht alleine sein), sondern die feurigste Predigt, die ich bisher bei einer Hochzeit gehört habe – und das, obwohl nach jedem Satz eine Pause gemacht werden muss für den Übersetzer. Von vorne bis hinten geht es darum, dass Gott uns liebt, mehr als alles in der Welt, und dass er den Himmel verkaufen würde, um in unserer Nähe sein zu können. Aber das, bitteschön, muss den Menschen mitgeteilt werden! Es reicht nicht, wenn wir Christen das wissen. Es ist die beste Nachricht, die man einem Menschen überbringen kann, also keine falsche Scheu, Schuhe an und los!
Ich finde es großartig, dass die beiden sich dafür entschieden haben. Hochzeiten sind neben Ostern und Weihnachten oft die einzige Gelegenheit, Nichtchristen in eine Kirche zu bekommen. Man sollte die Zeit nutzen und die Leute nicht mit Nebensächlichkeiten zutexten.

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