1. Juni 2016

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Die Band ist zur Hochzeitsfeier eingeladen, Nieke wird nun zum Sondergast. Sie kennt ja außer uns niemanden. Zuerst sitzt sie ein bisschen verloren da, aber dann kommt sie mit einer alten Schulfreundin von Lisanne ins Gespräch, die ich auch noch von früher kenne.(288)
Wir haben eine kleine Überraschung fürs Brautpaar und vor allem die kroatische Hälfte der Verwandtschaft, denn wir müssen natürlich die dreizehnstrophige Balkanhochzeit spielen. Nie war die Gelegenheit besser! Aber wir wollen auch noch andere Lieder präsentieren. Lisanne kennt ja einige unserer neuen Stücke noch gar nicht.
Erst mal jedoch geht es nicht um Musik, sondern um Essen und Trinken. Als das Buffet eröffnet wird, bin ich in einem Gespräch und verpasse es, mir einen guten Platz in der Warteschlange zu sichern. Also lasse ich die strategischen Überlegungen ganz sein. Ich habe keine Lust, mir die Beine in den leeren Bauch zu stehen; ich gehe rüber zum Tisch des Brautpaars. Lisanne sitzt gerade alleine da.
„Na“, mache ich und setze mich auf den freien Stuhl neben ihrem. „Geht’s dir gut?“
„Die Anspannung lässt zum Glück langsam nach“, sagt sie und lächelt, aber das tut sie ja den ganzen Tag schon.
„Hast du dir deine Hochzeit so vorgestellt?“
Jetzt schaut sie mich richtig an. „Was willst du wissen, Jeremy? Ja, ich bin glücklich. Sehr glücklich. Bloß an den Füßen nicht.“
„Kein Wunder bei den Schühchen!“, lache ich. Die sind spitz und mit Absatz und haben dazwischen wenig Material. Ich nehme beide Füße in meinen Schoß und streife ihr die Schuhe ab. Dann fange ich an, den einen Fuß zu massieren, so wie ich es bei Merle gelernt habe.
Lisanne lehnt sich zurück und schließt die Augen. „Du bist ein Engel!“, seufzt sie.
Zoran kehrt mit zwei vollen Tellern zurück. „He, was machst du da mit meiner Frau?“, pöbelt er lachend, „Runter von meinem Stuhl!“
„Bitte, Schatz, setz dich woanders hin“, sagt Lisanne, und zu mir: „Aua. Genau da ist es.“
„Woher hast du die Schuhe denn?“
„Bei einer Tanzschule ausgeliehen. Es waren die einzigen in meiner Größe, die zur Farbe des Kleides passten.“ Sie bekommt ihren Teller und fängt an zu essen. Zoran mopst sich den Stuhl von seinem Bruder, der daraufhin einen anderen nehmen muss. Das wird hier gleich wie „Reise nach Jerusalem“.
„Wer schön sein will, muss leiden, he? Da hab ich ja Glück mit meinen Schuhen.“
„Das wollte ich dich ja sowieso noch fragen. Seit wann hast du den Anzug? Ich hab dich noch nie so elegant gesehen.“
„Miloš brauchte für den Besuch in Bosnien was Anständiges anzuziehen, und weil sein Anzug nach dem Überfall nicht mehr zu retten war, hat er sich einen neuen gekauft. Na ja, es färbt halt ab. Früher fand ich die Klamotten blöd, aber weil er sie so selbstverständlich trägt wie sonst Jeans und T-Shirt, hab ich irgendwann gedacht, ich lasse das Rebellionszeug hinter mir, mit dem ich mich immer gegen Helena wehren musste und kaufe mir auch einen.“
„Wunderbar“, seufzt sie und mir ist nicht ganz klar: meint sie meine Veränderung oder das, was ich mit ihrem linken Fuß anstelle?
„Du hast einen guten Weg eingeschlagen“, sagt Zoran kauend.
„Mit den Klamotten oder was?“
„Mit allem.“
„Wie, mit allem?“, frage ich verständnislos nach. „Wie kannst du das denn wissen? Du kennst mich doch noch gar nicht so lange und Helena überhaupt nicht!“
Der rechte Fuß stößt sachte in meinen Bauch. „Stell dir vor, wir sprechen gelegentlich miteinander. Manchmal geht es um dich“, deutet sie an.

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