1. Juni 2016

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Ich mache besänftigende Handbewegungen, was sich vor allem auf die von ihr angewandte Lautstärke bezieht. „Sie heißt Slobodanka, Sloba, ist seine Kusine, wir haben uns bei der Familienfeier getroffen und alles übrige werde ich dir zu einem späteren Termin erzählen. Wenn du mich nämlich nicht mit Nieke überfallen hättest, hätte ich dich wahrscheinlich heute eh’ angerufen, spätestens sobald ich seine Nachricht gefunden hätte.“
„Jeremy hat eine Freundin, hurra, er ist verliebt!“, titscht sie singend durch den Raum.
„Was ist daran so ungewöhnlich?“, fragt Nieke.
„Er hat sich ziemlich viel Zeit gelassen seit seiner letzten Beziehung. Ich freu mich so für dich!“ Sie gibt mir einen Schmatzer auf die Wange.
„Der Beziehungsstatus ist geklärt“, grinst Miloš, „Dienstag geht auch klar?“
Unser neuestes Bandmitglied nickt. „Habt ihr noch irgendwelche Fragen an mich?“
„Das wird sich mit der Zeit ergeben“, sage ich, aber Miloš hält davon nichts, denn er fragt: „Ist dein Name eine Abkürzung von einem anderen?“
Guck an. Namensbedeutung ist immer noch Thema bei ihm.
„Gewissermaßen. Nieke ist mein richtiger Name, es ist eine Abkürzung von Berenike. Das stammt aus dem antiken Griechenland und beutet Siegbringerin. Die normale Abkürzung ist Nike, also ohne e in der Mitte, aber meine Eltern wollten sämtliche Assoziationen zu besagten Sportartikeln vermeiden. Also haben sie noch ein e eingefügt. Wenn ich im Ausland bin, vor allem in Deutschland, werde ich regelmäßig danach gefragt, aber du bist hier zuhause der Erste, der das wissen will.“
Das ist sein Stichwort. „Noch bin ich ja ein Ausländer, also darf ich das fragen.“
„Was heißt das, noch bist du ein Ausländer?“
„Im Juni werde ich Niederländer.“
„Oh, ein neuer Staatsbürger, herzlich willkommen! Was bist du bis Juni?“
„Bosnier.“
„Du bist der erste Bosnier, den ich kennen lerne.“
Sammelt sie Ausländer? Lustiges Hobby. „Was wird gespielt?“, will ich wissen.
„Du bist der Chef“, gluckst Merle.
„Nee, hört mal auf mit dem Quatsch. Ihr dürft gerne selber denken.“ Für Nieke erkläre ich: „Ich bin der Chef, weil ich die Band gegründet und den Proberaum gefunden habe, aber für mich kommt nicht viel dabei rum. Meist kriege ich es nur aufgewärmt, wenn unangenehme Aufgaben anstehen. Dann fällt allen ein, dass es ja einen Hauptzuständigen dafür gibt.“
„Bist du nicht primus inter pares?“
„Was? Wer bin ich?“
„Primus inter pares. Der Erste unter Gleichen. Das meint, dass du Abstimmungen im Zweifelsfall alleine entscheiden kannst, auch wenn jeder gleich viel zu sagen hat. Aber du bist halt der Pip und nicht an die demokratische Grundordnung gebunden.“
„Krass“, wundere ich mich, „Warum weißt du so was?“
„Das nennt man Allgemeinbildung“, grinst der Intellektuelle meiner Band. „Ich schlage vor, dass wir–“
„Ich schlage vor, dass ich ab sofort der Pip bin“, unterbreche ich.
„Aha, und wem das nicht passt, der kann gehen, nehme ich an?“
„Haargenau. Irgendwie muss ich meine Bandchefautorität untermauern. Was wolltest du gerade vorschlagen?“
Kopfschüttelnd schaut er mich an. „Du scheinst es nötig zu haben.“
„Wenn du meiner Meinung bist, kann das dein großer Vorteil werden. Was wolltest du vorschlagen?“
„Es gab schon demokratisch gewählte Präsidenten, die nach ihrer Wahl die Gesetze so verändert haben, dass sie quasi unabwählbar wurden.“
„Jaja, Klugscheißer. Zähl sie jetzt bitte nicht alle auf. Was wolltet du vorschlagen?“
„Dass wir an den nächsten paar Dienstagen das ganze Repertoire durchspielen, damit Nieke alle Lieder kennt und wir gleich auf die Bühne können, sobald David sich meldet.“

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