1. Juni 2016

512

Ich weiß nicht, womit ich den Abend zubringe. Und ich weiß auch nicht, wie der folgende Arbeitstag umgeht. Ich fühle mich, als hätte ich einen Eimer auf dem Kopf. Ständig stoße ich gegen Sachen. Die Leute fragen mich was und ich verstehe gar nicht, was sie von mir wollen.
Um kurz nach sechs kommt Miloš heim. „Was hast du gekocht?“, lässt er seine Standardfrage vom Stapel.
„Nix. Iss Brot, wenn du Hunger hast.“
„Hast du denn schon was gegessen?“
„Nein, ich will nichts.“
Er durchschaut meinen Appetitmangel sofort. „Ruf sie an“, sagt er.
„Aber das wird furchtbar teuer!“
„Es muss ja nicht lange dauern. Ruf an.“
Gehorsam nehme ich das Telefon und den Zettel, auf dem die ellenlange Nummer steht und tippe sie ein. Am anderen Ende der Leitung meldet sich – ein Mann! Vor lauter Schreck lege ich sofort auf.
„Was ist los?“
„Da war ein Mann am Telefon“, bibbere ich, „Was mach ich, wenn die Nummer falsch ist?“
„Gib her, ich regle das für dich.“
Er drückt die Wahlwiederholungstaste und redet serbisch. Dann gibt er es mir zurück.
„Đero“, dringt es von weit her an mein Ohr. Ich gehe in mein Zimmer.

Miloš öffnet die Tür. „Komm zum Essen“, sagt er.
Ein Käsebrot wird nicht schaden. Ich gehe mit. Für Butterbrote, stelle ich auf der Treppe fest, riecht es erstaunlich gut bei uns im Haus – nach Kartoffelsuppe. Der Suppentopf steht auf dem Tisch, dazu tiefe Teller und Löffel und eine Schüssel mit Röstbrotwürfeln.
Er verteilt Suppe und Brühwürstchen mit und ohne vegetarischen Inhalt.
„Hast du das gekocht?“, frage ich.
Er grinst. „Du würdest es vielleicht essen, weil du mein Freund bist, aber ich würde es nicht anrühren. Ich weiß, was ich kann. Nein, Merle war hier. Ich wusste nicht, ob sie wissen soll, was mit dir ist, also habe ich ihr gesagt, dass du krank bist und keinen sehen willst. Sie hat erzählt, dass du ihr auch Kartoffelsuppe gekocht hast, als es ihr mal schlecht ging. Tut gut und geht schnell, hat sie dich zitiert. Sie wünscht gute Besserung.“
„Danke.“
„Cokko hat angerufen. Einer von seinen Kanadiern hat immer die allerneuesten Computer. Sobald was neues auf den Markt kommt, kauft er es sich, und was er vorher hatte, verkauft er wieder. Er hat Cokko einen Laptop für einen guten Preis angeboten. Cokko sagt, du bekommst dann seinen alten, weil du mit dem neuen sowieso nicht sachgemäß umgehen kannst.“
„Stimmt“, mache ich.
„Vermutlich bringen sie den Deal am Freitag über die Bühne, das heißt, er kommt am Samstag hierhin und baut alles auf. Falls was dazwischen kommt, meldet er sich aber noch mal. Darf ich den Computer eigentlich auch nutzen?“
„Na klar!“
„Dann ist er eine gemeinsame Anschaffung und du musst ihn nicht alleine bezahlen.“
„Stimmt“, mache ich wieder. Das liebe ich an diesem gemeinsamen Konto. Vorher wäre es ein Computer gewesen, den ich mir nicht leisten konnte, jetzt ist es ein Computer, den wir uns leisten können, wenn wir nächsten Monat ein bisschen sparsam sind.
„Ach ja, und Amalia hätte es gerne, wenn du sie morgen nach der Schule besuchst.“
„Hat sie auch hier angerufen?“
„Nein, ich habe sie angerufen, bevor ich Merle wegen dem Kochen gefragt habe. Amalia hatte aber Besuch da. Und ihr habe ich nicht gesagt, dass du krank wärst.“
Ich seufze. „Das ist alles total nett von dir. Ich weiß auch nicht … das ist so … ich kenn sie ja erst seit einer Woche … aber … es fühlt sich an, als hätten wir tausend Jahre Zeit miteinander gehabt und jetzt … sie fehlt mir so!“

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