31. Mai 2016

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hundertfünfundfünfzigstes Kapitel

Miloš hat die Route geändert. Grund dafür sind zwei Mitfahrer, die wir in einer kroatischen Kleinstadt nahe der bosnischen Grenze auflesen und die nach Stuttgart wollen. Er hat mir erklärt, wie sich das auf unsere Reisekasse auswirkt, aber ich habe nichts verstanden. Ich fühle mich schon jetzt krank vor Sehnsucht. Der Abschied war furchtbar. Ich werde sie alle so sehr vermissen. Und Sloba. Meine Herzallerliebste. Die Wucht in Tüten. Die auf meinem Schoß geweint hat, weil ein Spinner in Köln sie nicht in Ruhe lässt. Mein liebes Slobientje.
Ich habe keine Ahnung, ob sie mir treu sein wird; ich hoffe es. Wir hatten keine Zeit, Wertekodexe auszutauschen.

„Đerominko“, sagt Miloš leise.
„Nenn mich nicht so.“ Das ist Slobas Name für mich. Bis sie sich einen anderen ausdenkt.
„Entschuldige, Jeremy. Ich wollte dir etwas sagen, hörst du zu?“
„Ja.“
„Das mit der besten Freundin der Lieblingskusine, also was ich dir gesagt habe, dass man mit der nichts anfängt – das gilt nicht für dich. Auch wenn es das gleiche Spiel mit vertauschten Rollen ist.“
„Aha“, mache ich düster. „Da hab ich ja Glück.“
„Das liegt daran, dass du eine andere Art hast, Beziehung zu bauen. Bevor Gott mir gesagt hat, dass ich ein Jahr Single sein soll, habe ich Beziehungen im Bett angefangen. Spätestens nach einem Tag waren wir in der Kiste. Du machst das anders, du bist vorsichtiger. Da geht nicht so viel kaputt, wenn es nicht klappt.“
Meine Lebensgeister kehren zurück. Um sich vom Kummer abzulenken, suchen sie Streit. „Woher bist du dir so sicher, dass ich Beziehungen nicht im Bett anfange? Du hast mich bisher nur in einer festen Beziehung oder als Single erlebt und wer sagt, dass ich das, was ich zum Thema gesagt habe, auch selber so lebe?“
Er starrt mich an. „Habt ihr etwa – habt ihr? Nicht im Ernst, oder?“
Ich setze noch einen drauf. „Immerhin ist deine Lieblingskusine ein ziemlich heißer Feger.“
Miloš hält das Lenkrad so fest, dass die Fingerknöchel weiß hervortreten, das sehe ich sogar im diffusen Licht der Tachoanzeigen. „Sag, dass das nicht wahr ist.“
Würde er nicht Autofahren, würde er mich wahrscheinlich am Kragen packen und irgendwo gegen schubsen. Ich koste es aus, dass das gerade nicht möglich ist und sage gar nichts.
„Ich fass es nicht.“ Und ein paar Atemzüge später noch einmal, völlig erschüttert und fast stimmlos: „Ich fass es nicht.“
„Haha“, mache ich boshaft. „Das hast du geglaubt, was?“
Er stößt die Luft aus und schaut mich halb verunsichert, halb erleichtert an. „Also nicht?“
„Nein.“ Jetzt lasse ich eine Pause entstehen. Dann atme ich durch und sage ehrlich: „Es hätte passieren können, wir waren kurz davor. Aber ich wollte nicht. Weil wir uns ja sehr lange nicht sehen werden. Erst wieder, wenn das bosnische Schuljahr rum ist. Dann treffen wir uns in Köln.“ Und Bernd vermutlich auch.
„Ich wünsche euch beiden, dass es klappt. In Jesus’ Namen, du sollst eine Familie kriegen mit vielen Onkels und Tanten.“
Der Streit hat nicht gereicht, um den Kummer zu vertreiben. Ich versinke in Schweigen.

Um ein Uhr nachts und perfekt im Zeitplan kommen wir in Stuttgart an. Die Kroaten haben uns die Adresse einer Pension genannt, die von einem Yugo geführt wird. Beim Frühstück höre ich die letzte serbokroatobosnische Unterhaltung. Dann steigen zwei Deutsche ins Auto, die nach Frankfurt und Essen wollen und in Frankfurt zwei weitere, die nach Köln wollen. In Köln kommt noch eine Niederländerin dazu, die uns bis Hilversum begleitet.
Zuhause laden wir das Gepäck aus, fahren zu einer Tankstelle, reinigen das Fahrzeug von innen und außen, tanken voll und geben es ab.
Ich spüre jeden Kilometer einzeln im Herzen.

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