31. Mai 2016

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Schließlich stelle ich meinen Sitz richtig ein und lasse mich nieder. An der Seite rastet ein Hebel ein. Aha. Den wird sie nicht ganz zufällig erwischt haben.
„Du bist die Lieblingskusine von meinem besten Freund. Und ich mag deine Familie. Ich will nicht riskieren, dass das alles Brüche kriegt, bloß weil wir den Fehler machen, dass wir zu schnell zu viel wollen. Morgen Abend sind wir schon wieder unterwegs. Übermorgen sind fast tausendfünfhundert Kilometer zwischen uns. Ich will jetzt nicht mit dir schlafen, weil ich weiß, dass es mich ab morgen umbringen wird. Verstehst du das, auch wenn es klingt, als hätte Dijana es gesagt?“
„Ja“, macht sie und schaut aus dem Seitenfenster.
„Schmollst du?“
„Nein. Du hast recht. Das hier … das ist doch alles nur, weil … Đerominko … wenn ich dir was erzähle … lach mich nicht aus, ja?“
Ich ziehe ihr Gesicht zu mir und sehe, dass ihr Tränen über die Wangen laufen. Ich hole die Papierserviette aus dem Kaffeebüdchen vorm Hallenbad aus der Hosentasche. Das Dings zwischen meinen Fingern ist keine Serviette, sondern der Brief, den Lotte uns im Hotel hinterlassen hatte. Ich suche in der anderen Hosentasche und werde fündig.
Sie wischt sich die Augen. Ich kraule ihren Kopf. Sie schluchzt.
„Ich habe zwar allen gesagt, dass ich wegen dem Heimweh nach Banja Luka gekommen bin, aber das ist nicht alles. Ich musste weg aus Köln. Bernd … er akzeptiert nicht, dass Schluss ist. Er wartet drauf, dass ich wieder komme. Ich bin seine Traumfrau, und eines Tages werde ich einsehen, dass wir zusammen gehören. Ich weiß nicht, wie ich im klar machen soll, dass ich fertig bin mit ihm. Er nimmt es nicht ernst, weil ich ja gar nicht begreife, was ich da rede.“ Sie schnauft tief durch. „Er ruft sogar hier an und schickt mir teure Geschenke. Keine Ahnung, wie er meine Adresse rausgekriegt hat. Aber … was mach ich denn, wenn das Jahr hier vorbei ist und er es immer noch nicht kapieren will?“
Ich habe keine Antwort und kraule weiter.
„Wenn wir beide miteinander schlafen, kann ich sagen, dass ich einen Neuen habe und dass er mich vergessen muss.“
„Werde ich nur mit Sex dein Neuer?“
„Nein, ich würde sagen, du bist es schon. Seit gestern Abend. Aber es wäre … deutlicher.“
Das sehe ich anders. „Wenn der Typ wirklich so verbohrt ist, wird er es als Seitensprung deuten und dir ein schlechtes Gewissen machen, dann vergibt er dir aus seiner großen Güte und geändert hat sich nichts.“
Sie bricht wieder in Tränen aus.
Ich lege wieder meine Arme um sie. Ich will sie. Für immer. Auch wenn es anstrengend wird, weil ihre Stimmung offenbar nur Extreme kennt. Ich will sie genau deswegen. Ich streichle durch ihre Haare.
Sie schmiegt sich an mich, ist auf einmal nicht mehr zappelig und laut, sondern weich und sanft und unfassbar schutzbedürftig.
„Wenn er dir Schwierigkeiten macht, sag mir Bescheid.“
„Du würdest dich für mich prügeln?“
„Ich hab damit nicht viel Erfahrung, aber wenn es sein muss, natürlich.“(274)
„Das hätte er nie, niemals für mich getan. Wir sind ja zivilisierte Menschen. Und er hätte auch nie einfach nur zugehört. Er hat für jedes Problem eine Lösung. Und wenn er mir die Lösung präsentiert, muss ich wieder glücklich sein und die Lösung auf mein Leben anwenden und alles ist gut.“ Grimmig schließt sie: „Und ein Taschentuch hätte er auch nicht gehabt.“
Ich kraule ihren Rücken. „Wie lange wart ihr denn zusammen?“
Sie setzt sich auf. „Fast zwei Jahre. Zu lange.“
„Und seit wann geht das schon so?“
„Seit Ostern.“
Fast ein Jahr. Zu lange!

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