31. Mai 2016

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hundertvierundfünfzigstes Kapitel

Punkt fünf stehe ich an der Hofeinfahrt. Zwei Minuten später nähert sich dröhnend und knatternd das kleine Auto, das Sloba von einem Kollegen ausgeliehen hat. Sie fährt auf den Hof, ich steige ein, wir begrüßen uns mit einem Kuss, sie wendet und donnert zurück durch die Gasse hinunter in die Neustadt.
„Heute musste ich in einer Klasse ein bisschen Erdkunde unterrichten“, ruft sie mir über die Fahrgeräusche hinweg zu.
„Warum? Ich denk, du machst nur Deutsch?“
„Ja, eigentlich schon. Aber ein paar Schüler haben gefragt, ob ich verliebt wäre und da musste ich es erzählen, und dann wollten sie wissen, wo Holland ist. Und Köln. Und alles drumherum. Ist Köln die Hauptstadt von Holland? Hahaha, die Kinder haben lustige Fragen! Ob ich dich ausgesucht hätte, weil du auch ein Lehrer bist! Wenn ich wieder zurück in Köln bin, kommst du mich besuchen?“
„Natürlich!“

An jeder roten Ampel müssen wir uns ansehen, berühren, küssen, und nicht nur einmal werden wir angehupt, weil längst nicht mehr rot ist. Nach der teilweise sehr schweren Stimmung vom Vormittag bin ich hier ins Kontrastprogramm geraten und ich genieße es.
Irgendwann hält sie am Straßenrand an. „Mann, ist das peinlich“, lacht sie, „Ich habe mich verfahren! Ich war zu lange nicht hier!“
„Ist doch egal“, sage ich, „fahr woanders hin. Ich bin ja nicht das letzte Mal hier.“
„Sag das noch einmal“, seufzt sie und stellt den Motor ab.
„Ich bin ja nicht das letzte Mal hier.“
Sie klettert vom Fahrersitz und hockt sich auf meinen. Ihre Knie sind neben meinen Oberschenkeln; schon das reicht, um mich unter Strom zu setzen.
Plötzlich knackt etwas unter mir und die Rückenlehne des Sitzes rauscht nach hinten. Ich will noch fragen, ob etwas kaputt ist, aber ihre Lippen sind auf meinen.
Ihre Haare sind wie ein Zelt um unsere Gesichter.
Die zweite Gänsehaut überholt die erste. Tief schaut sie mir in die Augen.
Ich versinke in diesem Ozean aus Eisblau und Duft und Nähe und Atemgeräusch und Herzschlag und Kribbeln am ganzen Körper.
„Noch mal.“
„Ich bin nicht das letzte Mal hier“, wispere ich.
Dann überfällt sie mich mit ihrer ganzen Naturgewalt. Überall landen ihre Küsse und sind ihre Hände. Hose auf. Voran, keine Zeit!
Halt! Stopp! Was tu ich denn da?! Ich will das nicht! Ich habe keine Chance gegen sie, im Auto ist zu wenig Platz. Irgendwie kann ich ihre Hände packen, schaffe es, mich unter ihr her wegzuschlängeln, bekomme Oberhand(273), kann ihren Körper mit dem Knie unten halten.
„Du gehst ganz schön ran“, schnauft sie.
Mit dem Ärmel wische ich mir den Schweiß vom Gesicht. „Ich geh nicht ran, ich wehre mich“, stelle ich das richtig.
„Warum?“, gurrt sie und schenkt mir einen unschuldigen Blick. „Hast du Angst vor mir? Wie süß!“
„Ich mein das ernst. Hör auf.“
„Hä?“, macht sie. „Spinnst du?“
„Kann sein. Aber ich will jetzt nicht. Wenn das mit uns mehr werden soll als eine flotte Nummer am Straßenrand, brauchen wir eine solide Basis.“
„Du redest wie Mama“, schnappt sie und versucht sich zu befreien.
Ich lasse sie los und sie verzieht sich zurück auf den Fahrersitz.
Vorsichtshalber steige ich aus, damit ich sicher werde in meiner Beherrschung. Frische Luft schadet auch nicht. Die Autoscheiben sind von innen beschlagen.

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