31. Mai 2016

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Wie kommt sie jetzt darauf? „Es ist ungewohnt, aber ich finde es lustig, dass hier alle so lange Namen kriegen, an denen dann sofort wieder was abgekürzt wird. Aus Miloš wird Milodinko und dann heißt er Miko. Ich komme her als Jeremy, werde dann Đerominko, aber ihr könnt mich ja nicht auch Miko nennen. Wie werde ich abgekürzt?“
„Das hast du falsch verstanden. Er heißt nicht Miko, weil einer -dinko drangehängt hat, sondern weil er mit mi anfängt und mit ko aufhört. Du würdest vielleicht Đeko heißen, aber bis jetzt hat noch keiner was gesagt. Was ich eigentlich–“
Zwei Leute treten lachend und redend aus dem Haus und zünden sich Zigaretten an. An der Tür ist Licht, aber vermutlich sehen sie uns nicht. Ich wende mich wieder Sloba zu, die ja irgendwas sagen wollte, bevor wir abgelenkt wurden.
Sie steht auf den Zehenspitzen und küsst mich. Auf den Mund.
Klarer Fall. Sie will meine Telefonnummer haben.
Ich will ihre.

„Hast du morgen auch frei?“, frage ich, als wir genug geküsst haben. Vorerst.
„Nein, ich muss arbeiten. Zwei Tage frei mitten in der Schulzeit, das geht für eine Familiensache, aber länger nicht.“
„Wieso Schule? Ich dachte, du studierst in Köln.“
„Das tue ich auch, außer jetzt. Ich hatte schreckliches Heimweh und als ich gehört habe, dass in Banja Luka eine Deutschlehrerin gesucht wird, habe ich mich sofort beworben. Ein Jahr bin ich hier, dann muss ich noch ein Jahr in Köln studieren, dann bin ich fertig.“
„Und dann bist du Lehrer?“
„Nein, Germanistin. Aber ich kann als Lehrerin arbeiten. Wir könnten unsere eigene Schule aufmachen. Eine ex-jugoslawisch-deutsch-niederländische Schule. Am besten genau auf der Grenze. Was hältst du davon, Herr Kollege?“
Die Idee ist zum Küssen. „Bringst du den Serben nur deutsch bei oder kannst du auch serbisch unterrichten?“
„Ich kann sogar kroatisch unterrichten und bosnisch. Die Unterschiede sind nicht groß, wenn man damit aufgewachsen ist.“
„Könntest du auch Niederländern serbisch beibringen?“
„Mit Deutsch als Transitsprache sehe ich da keine Probleme.“
„Aber ich verirre mich immer in den kyrillischen Buchstaben!“
„Das können wir ganz einfach lösen, hab keine Angst“, lacht sie. „Morgen werden wir mit dem Unterricht anfangen. Wann hast du Zeit?“
„Ich denk, du hast morgen keine Zeit?“
„Ich muss arbeiten, aber du glaubst doch nicht, dass ich auch den Rest des Tages zuhause in meiner winzigen Bude hocke, während ihr hier seid! Wenn ich mich beeile, kann ich um fünf hier sein.“
„Dann beeil dich bitte.“
„Lass uns abhauen“, flüstert sie verschwörerisch.
„Keine gute Idee. Es wird auffallen, wenn ich nicht da bin und dann machen sie sich Sorgen, ob ich mich verlaufen habe.“
„Aber morgen. Morgen hauen wir ab.“
„Um fünf steh ich hier am Tor und warte auf dich.“

Dragan schaut gerade zur Tür, als wir das große Zimmer betreten. Was so ein alter Vater von sieben lebenslustigen Mädchen ist, sieht er bestimmt sofort, was passiert ist.
Trotz der vorgerückten Stunde wird immer noch nach Musik verlangt. Ich lasse mich mehrsprachig überreden, erneut in der Band mitzuwirken. Irgendwann steht die Frau an der Gitarre auf und gibt mir ihr Instrument. Hat mich vielleicht der Bassist verpetzt?
Ich singe kein richtiges Lied, sondern nur, was mir so in den Sinn kommt. Englische, niederländische und deutsche Zeilen (und dab-daba-dab) wechseln einander ab. Die deutschen sind nur für Sloba. Slobodanka. Deutsch ist jetzt meine Sprache der Liebe, Bosnien das Land des Lächelns.
Slobodanka, das bedeutet Freiheit, und so ist es. Ich bin hier frei geworden von meiner Schüchternheit. Vielleicht wird sie wieder kommen, aber der erste Schritt in ein freies Leben ist gemacht.

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