31. Mai 2016

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Als der Abend später wird, werden Musikinstrumente ausgepackt und das Wunder geht weiter. Ich finde mich mitten in der Kapelle wieder, kenne keins der Lieder (schließlich ist die Feier keine Hochzeit), weiß keinen Text und klopfe auf ein paar Trommeln herum, als hätte ich nie andere Lieder gespielt.
Zum Glück wird auch in dieser Band rotiert, sodass ich nach einiger Zeit die Trommeln an einen Mann weitergeben kann, der zur Verwandtschaft gehört und dessen Name mir entfallen ist. Ich brauche dringend ein bisschen Ruhe und frische Luft und verziehe mich in einem unbeobachteten Moment nach draußen.
Im Hof ist es mir nicht leise genug und ich verlasse das Grundstück. Ich gehe die Gasse aufwärts, dann stehe ich mitten auf einem winzigen Platz vor einer kaum größeren Kirche. Das muss die sein, die immer zur vollen Stunde bimmelt. Im Schein der einsamen Straßenlampe auf dem Platz sieht sie uralt aus; vermutlich ist sie weiß getüncht. Ihre Tür ist nur angelehnt. Ich schlüpfe hinein.
Drinnen ist es kalt und sehr dürftig beleuchtet. Ich folge dem Kerzenschimmer und setze mich in eine der hölzernen Bänke.
Danke für diesen wunderschönen Familienausflug, sage ich zu Jesus. Kann das nicht immer so sein, dass ich mir sicher bin und Freude habe an Gesellschaft und nicht ständig drüber nachdenke, was wer wie gemeint hat, als er wie geguckt hat, nachdem ich was auch immer gesagt habe? Es kommt keine Antwort, aber ich will das Thema nicht ruhen lassen. Meinst du vielleicht, ich sollte nicht mehr so kompliziert denken? Wäre das so einfach, hätte ich ja längst damit aufgehört. Es ist immer noch still in meinem Kopf – von meiner Stimme abgesehen. Ich will damit sagen, ich brauche deine Hilfe, um die Schüchternheit loszuwerden. Nichts. Also sage ich es selbst: In deinem Namen, Jesus, kündige ich der Schüchternheit. Sie hat keinen Platz mehr in meinem Leben. Ich will sie nicht mehr haben und sie soll nicht wiederkommen. Ich fühle gar nichts. Aber ich habe es ja schon zu Miloš gesagt, manche Dinge entwickeln sich im Prozess und irgendwann stellt man fest, sie haben sich geändert. Da fällt mir noch was ein. Und wo wir mal dabei sind, kannst du mir auch das Ding mit der Identität erklären?
Endlich meldet er sich zu Wort. Da gibt es nichts, was ich dir erklären müsste, mein Junge. Du weißt alles, was du über deine Identität wissen musst. Das Problem daran ist, dass du es mit dem Hirn weißt und nicht mit dem Herzen.
Das hilft mir gerade überhaupt nicht. Ich stehe aus der Bank auf, stoße mir zum Andenken das Schienbein an irgendeiner finsteren Kante und verlasse die Kirche.

Am Hoftor steht Sloba und schaut mir entgegen. „Wo warst du?“
„Ich brauchte ein bisschen Ruhe“, weiche ich aus. Kann ich ihr das mit der Kirche sagen? Weiß sie überhaupt was von Gott?
„Und wo hast du deine Ruhe gefunden?“
„In der kleinen Kirche.“
Sie nickt. „Miko hat das schon gesagt, dass ihr an Gott glaubt.“
„Und du, glaubst du auch an Gott?“
„Nein. Miko sagt, er hat ihn kennen gelernt, aber das ist ja seine Sache. Der Gott kann sich mir ja mal vorstellen.“
„Soll ich für dich beten?“
„Du bist ja voll der Missionar! Aber lass mal. Vielleicht morgen, ja?“
„Okay“, mache ich und weiß nicht, was ich sonst sagen soll.
Sie holt Luft, als wolle sie etwas sagen, überlegt es sich dann aber anders. Im nächsten Anlauf fragt sie: „Magst du den Namen Đerominko?“

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