Beim Abstieg habe ich mehr Luft und kann fragen: „Wie hoch überm Meer sind wir?“
„Für diesen Fleck weiß ich es nicht, aber das Rathaus von Peckovar ist bei einhundertdreiundsiebzig.“
„So wenig?!“
„Was hast du denn gedacht?“, belustigt er sich, „Zweitausend?
„Weiß ich doch nicht! Ich kann das nicht einschätzen!“
„Das ist doch total einfach!“, wundert er sich. „Der Norden liegt nicht besonders hoch.“
„Das ist überhaupt nicht einfach. Und woran soll ich mich orientieren?“
Unvermittelt lacht er schallend los. „Ich weiß es! Es muss so sein. Ein Naturgesetz! Du stellst Flachländerfragen, weil ich Landrattenideen habe!“
Wenn du es so sagst, muss es stimmen. „Und wie weit ist das Meer entfernt?“
Er lacht immer noch. „Bosnische oder kroatische Küste?“
„Beides.“
„Logo“, grinst er. „Bis zum nächsten Strand könnten es ungefähr zweihundertfünfzig Kilometer sein. Bis Neum sind es mindestens dreihundert.“
„Und da bei Neum sind diese zwanzig Kilometer Küste.“
„Richtig.“
„Welchen Strand würdest du bevorzugen?“
„Den bei Dersum aan Zee.“
„Hast du Heimweh?“
„Nein. Aber er ist der schönste. Vor allem hat er die schönste Brandung. Und die Nordsee riecht besser als die Adria. Welche Sprache war das, in der du dich gestern mit Onkel Dragi unterhalten hast?“
Ach, der Herr Themenwechsel ist auch mitgefahren! „Deutsch.“
„Dragi kann deutsch? Das wusste ich gar nicht.“
„Es ist nicht viel, er kann es von früher. Als er jung war, hat er in Stuttgart gearbeitet.“
„Stimmt“, fällt es ihm wieder ein, „Mercedes. Stuttgart hat übrigens die größte serbische Gemeinschaft in Deutschland. Aber es wohnen auch viele andere Yugos da. Falls du mal in einem Gespräch mit anderen Leuten ein bisschen klugscheißen möchtest.“
„Danke.“
Wir fahren zurück nach Peckovar. Er biegt jedoch nicht in die enge Gasse ein, sondern fährt noch ein Stück weiter bergauf. Wir steigen erneut in einem Waldstück aus.
„Bist du sicher?“, frage ich, damit sich die Enttäuschung nicht wiederholt.
„Ja“, macht er.
Auch in diesem Wald gibt es eine Lichtung. Am Rand der Wiese sind Bänke aufgestellt, von denen aus man Ausblick in ein kleines Seitental hat. Es ist windstill und im Sonnenschein recht mild. Wir lassen uns nieder.
„Hübsch hier“, sage ich. „Was verbindet dich mit diesem Ort?“
„Vor fünfzehn Jahren habe ich hier oben etwas sehr wichtiges gelernt.“
„Aha. Was?“
„Ich war mit Slobas bester Freundin irgendwo hier im Wald … da gab es noch keine Wiese und keine Bänke … und wir hatten Sex. Ich war sechzehn und sie dreizehn, und es gab nur dieses eine Mal. Der Punkt ist: man fängt nichts an mit der besten Freundin der Lieblingskusine, selbst wenn die einen in voller Absicht anspitzt, bis man nur noch sabbert. Wenn nämlich Schluss ist, kann es passieren, dass die liebste Kusine auf einmal nicht mehr bedingungslos auf deiner Seite ist, denn du hast ihre beste Freundin zum Weinen gebracht.“
„Sehr wichtig.“
„Ja, aber es war nicht eindrücklich genug, um die ganze Tragweite des Themas zu begreifen. Man fängt auch nichts mit der Ex vom besten Freund an.“
„Verzeih es dir. Wenn Helena nicht diese Knöpfe gedrückt hätte, die dein Vater immer gedrückt hat, hätte es besser geklappt zwischen euch. Dann wärt ihr vielleicht noch zusammen.“
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