31. Mai 2016

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Nach dem Essen kommen auch die drei Jungs zu mir, denn es hat sich wohl herumgesprochen, dass man mit mir tolle Dinge erleben kann. Natalija ist nicht begeistert! Sie will mich nur für sich haben. Ich erkläre ihr, dass ich die ganze Familie besuche und nicht nur sie. Erst schmollt sie, dann stellt sie mir die Jungs vor. Der Älteste heißt David, der Mittlere Ivica und der Jüngste Miloš. Deswegen hat der große Miloš vorhin so konsterniert geguckt! Sie haben ja geglaubt, er sei tot.
Irgendwann kommt das Familienoberhaupt zu mir, nimmt mich den Kindern weg und fragt mit einem Deutsch, das mehr holpert als meins: „Gefällt dir unser Land? Du hast heute kleines Stück gesehen.“
„Es ist hübsch. Allerdings müsste ich es im Sommer sehen. Im Februar ist es überall nur braun und grau.“
„Gute Idee. Komm uns im Sommer besuchen.“
„Miloš will im Sommer nach Schweden“, deute ich an, aber er lacht und winkt ab. „Er will immer weit weg. Er soll nach Schweden fahren, komm ohne ihn!“
Da reden wir dann noch mal drüber … „Woher kannst du Deutsch?“, frage ich.
„Ich habe als junger Mann gearbeitet in Stuttgart bei Mercedes und jetzt ich rede mit Slobodanka deutsch, so ich nicht alles vergesse. Kennst du Stuttgart?“
„Nein, da war ich noch nie. Es ist weit weg von uns.“
„Nach Köln ist es nicht weit?“
„Nein, das ist viel näher. Sloba hat schon gesagt, dass sie uns besuchen kommen will, wenn sie wieder studiert.“
„Wie sagt man in deiner Sprache Guten Tag?“
Ich sage es ihm, er spricht es nach und weil er noch mehr wissen will, bringe ich ihm auch noch ein paar andere Worte bei.
„Marika hat keine Wörter sagen können. Mehr als vier Jahre war sie in Niederlande, und kann kein Wort. Wie hat sie gelebt?“
„Wer ist Marika?“
„Wie sagt man … Schwester von …“, er winkt wieder ab, „Mutter von Milodinko.“
Milodinko!! Ich wusste es, er hat hier einen Kosenamen. Was für ein schönes Wort! Da ist Musik drin. „Deine Schwägerin“, helfe ich.
„Genau.“
Und da ich die Tatsache seines Kosenamens verdaue, geht mir auf, dass ich zum ersten Mal den Vornamen seiner Mutter höre. Das ist soweit nichts Ungewöhnliches, wir haben ja kaum mal ein Wort gewechselt, aber Miloš hat sie auch immer nur „meine Mutter“ genannt. Hatte er denn keine Kosenamen für sie? Hat er sie nie „Mama“ genannt?
„Ich glaube, sie hat nicht gelebt. Sie hat sich nur gewünscht, wieder hier zu sein. Geht es ihr jetzt besser?“
Dragan hebt die Schultern. „Es ist Problem mit ihr. Sie redet wenig und macht viele … Vorstellungen?“
Sie macht Vorstellungen? „Sie hat Erwartungen?“
„Ja, Erwartungen. Mit wenig sagen und viele Erwartungen ist es schwer, ihr etwas richtig zu machen. Und Zeljko … sein Vater … hat auch Erwartungen, aber andere. Er sagt Erwartungen, aber sie sind … zu groß an Milodinko.“
Au weia! Kein Wunder, dass Miloš so seltsam drauf ist, sobald es um seine Eltern geht! „Wohnen sie weit weg?“
„Nein. Es ist kurzer Weg zu Fuß.“
„Aber sie wissen, dass wir heute angekommen sind?“
„Ja, warum?“
„Warum sind sie nicht hier? Die halbe Familie ist hier, und es wohnen nicht alle in diesem Haus.“ Je länger ich sein bröckeliges Deutsch höre, desto seltsamer werden auch meine Sätze. Ich kann leider nichts dagegen tun. Mein Trost ist, dass er es nicht merkt.
„Warum sind sie nicht hier, das ist gute Frage. Vielleicht warten sie, dass er zu ihnen geht.“
„Meinst du, dass er das tun wird?“
„Ganz bestimmt tut er das, er ist guter Junge. Aber ob es gut ist? Das weiß man danach. Er ist sehr unterschiedlich zu ihnen. Zu Problem von Marika und Problem von Zeljko kommt Problem von Milodinko. Kannst du dir vorstellen, es ist keine leichte Familie.“ Er winkt ab, „Jetzt erzähl mir. Hast du auch Familie?“

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