hunderteinundfünfzigstes Kapitel
Dijana zeigt uns die Zimmer, die für die nächsten Tage unsere sind. Es sind keine Gästezimmer, betont sie, sondern die Zimmer, in denen zuletzt Dodo und Fifi gewohnt haben.(266) Es ist ihr wichtig, dass wir den Unterschied wissen. Wir sollen uns nicht als Gäste, sondern wie zuhause fühlen. Sloba übersetzt für mich.
Auf einmal ist sie mit Miloš verschwunden.
Scheint so, dass Dijana in der Küche mit ihrer Hilfe gerechnet hatte. Ich lasse mir die Chance nicht entgehen – sie kann mich nicht wegschicken, denn dann säße ich alleine rum – und folge ihr ins Herzstück des Hauses.
Da stehen wir nun in trauter Zweisamkeit und ich inhaliere meinen ersten serbisch-bosnischen Kochkurs. Ich darf meine Nase in jeden Topf stecken und alles anfassen und überall probieren. Es riecht so fremd und so gut.
Dijanas Wortschwall tut gut nach der schweigsamen Fahrt, und wo Worte nicht reichen, helfen Gesten, Handfertigkeiten und Küchenverstand.
Wie konnte er hier nur weggehen? Wie tief hat er sich ins eigene Herz geschnitten, nur um seinem Vater zu entkommen!
Zum Essen erscheint ein alter Mann mit nur einem Arm, der, wie Sloba mir erklärt, im Nachbarhaus wohnt und keinen hat, der für ihn kocht. So ein kleines bisschen gehört er zur Familie, auch wenn das Miteinander schwierig ist, weil er taub ist und grundsätzlich nichts mit Menschen zu tun haben will.
Dijana lässt sich davon nicht in ihrer Freundlichkeit beirren, wie ich sie einschätze.
Nachmittags füllt sich das Haus zusehends. Slobas jüngste Schwestern Jadi und Obibi kommen von der Arbeit heim. Sie sind in der Ausbildung und wohnen noch bei den Eltern. Jadi bringt zwei Freunde mit und alle bekommen zu essen.
Kurz darauf gibt es Kindergeschrei im Hof. Ich gehe zum Fenster. Drei kleine Jungs zwischen zwei und sechs Jahren tanzen um den total verdreckten Audi, patschen drauf herum und freuen sich daran, dass ihre Hände Spuren hinterlassen. Wahrscheinlich haben sie noch nie so ein Auto vor sich gehabt. Ein älterer Herr – ganz sicher Dragi – scheucht die Bande zur Haustür und kommt mit einer jungen Frau – vermutlich eine seiner Töchter – hinterher.
Meine Mutmaßungen stellen sich als richtig heraus. Bei der Frau handelt es sich um Bogi, die älteste Tochter des Hauses. Sie begrüßt uns herzlich und stellt Miloš ihre Söhne vor. Auf einmal werden die drei ganz scheu und verstecken sich hinter der Mutter. Was will man erwarten, sie haben ihren Onkel noch nie gesehen! Und für ihn ist es auch nicht einfach.
Für mich hingegen ist es sehr einfach. Ich kann den Trubel beobachten und mich dem Stimmengewirr hingeben und mich zuhause fühlen. Es ist wunderbar. Sloba stellt uns alle gegenseitig vor und kaum habe ich den Neuankömmlingen die Hände geschüttelt, Begrüßungsküsse erhalten und weitergegeben, geht die Tür auf und eine weitere junge Frau nebst Mann und einem vielleicht fünfjährigen Mädchen betritt den Raum. Langsam ahne ich, wieso die Räume so groß sind und so viele Stühle am Rand zu Stapeln aufgestellt sind.
Ich begrüße Midi, ihren Mann Danko und die bezaubernde Natalija. Wir schließen sofort Freundschaft. Sie liest mir aus ihrem Bilderbuch vor und bis es Abendessen gibt, habe ich ihr gezeigt, wie man Schattenfiguren an der Wand macht. Den Hahn mag sie am liebsten, aber er ist auch am schwierigsten, man braucht beide Hände.
Beim Essen will sie auf meinem Schoß sitzen, aber ich bin dagegen. Freundlich und bestimmt schicke ich sie auf ihren Platz zurück und als ich aufschaue, bemerke ich, dass ihr Papa mich bewundernd anguckt.
Bogi spricht gut englisch und übersetzt, was er sagt: „Bei jedem anderen hätte sie ein herzzerreißendes Geheul angestimmt. Du kannst sehr gut mit Kindern umgehen. Was arbeitest du?“
Ich lache. Das war klar! „Ich bin Lehrer. Die Kinder meiner Gruppe sind zwischen drei und sechs Jahren alt, meist sind es so um die fünfundzwanzig und manche von ihnen sprechen kein Wort niederländisch. Das lernen sie bei mir.“
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