31. Mai 2016

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Die eventuellen Mitfahrkontakte haben sämtlich abgesagt, aber nach dem gestrigen Theater finden wir das nicht schlimm.
Ebenfalls nicht schlimm ist das Wetter südlich der Alpen, vielerorts scheint die Sonne und es ist trocken. Die Straßen sind wenig befahren und wir kommen zügig voran.
Hier sind Grenzen keineswegs abstrakte Begriffe, sondern sehr sichtbare Dinge.
Das erinnert mich an meine Kindheit. Da gab es noch Grenzkontrollen, wenn man nach Deutschland oder Belgien wollte. Heutzutage undenkbar.
Die Slowenen lassen uns zügig ein- und wieder ausreisen, die Kroaten auch, aber die Bosnier wirken eher verschlossen.(265) Vor dem Grenzübergang hat sich ein langer Stau gebildet. Nach einer halben Stunde sind wir kaum weiter gekommen.
„Wann stellt Tante Dijana das Essen auf den Tisch?“, frage ich um kurz nach elf.
„Wenn wir angekommen sind.“
So ganz verschlossen ist er noch nicht, aber schon sehr wortkarg. Seit wir hier stehen, hat er vielleicht drei zusammenhängende Sätze gesagt, der Rest waren nur einzelne Wörter.
Wobei … wenn ich mir das vorstelle … vor fast fünf Jahren ist er das letzte Mal hier gewesen, und damals war ja nur die Rede von ein paar Monaten Aufenthalt im fernen Norden. Ich weiß nicht, wie ich nach der langen Zeit empfinden würde.

Bei der Weiterfahrt fällt mir auf, dass die Straßenschilder doppelt beschriftet sind, in lateinischen und kyrillischen Buchstaben. Stimmt, wir sind nicht nur in Bosnien, sondern auch in der serbischen Republik. Srpska.
Nachdem wir die Stadt hinter dem Grenzübergang durchquert haben, führt die Straße bald nur noch an Dörfern, nackten Feldern und kahlen Wäldchen vorbei, es sieht recht trist aus. Dann kommt ein Stück Autobahn. Immer wieder sind links und rechts bewaldete Berge zu sehen. Nicht besonders hoch, wenn man sie an den Alpen misst, aber für meine Verhältnisse schon eher Berg als Hügel zu nennen. Miloš hat das Navi längst ausgeschaltet. Seit der Grenze hat er kein Wort mehr gesagt und da ich keine Lust habe, Selbstgespräche zu führen, halte ich auch den Mund und schaue aus dem Fenster.
Jetzt geht es durch einen langen Tunnel, an einem Fluss entlang, noch ein kürzerer Tunnel, normale Schnellstraße, und auf einmal sind wir mitten in einer großen Stadt. Wie mag sie heißen? Es gibt richtige Hochhäuser mit Glasfassaden. Bosnien ist ein Land der Gegensätze. Aber ich habe keine Zeit, darüber nachzudenken, weil wir das Zentrum schon wieder verlassen haben. Hinaus aus der Stadt, breite Straße, Dörfer, Felder, wenige Autos, alte Trecker und ein Pferdefuhrwerk, Wälder, kleine Stadt, schmale Straße, Brücke über einen Fluss (nicht der von eben, würde ich sagen) noch mehr Wald, Berg rauf, Berg runter, noch ein Beginn einer Stadt, Stadtzentrum, breite Straßen, große Häuser, bergauf, schmale Straßen, kleine Häuser, noch weiter rauf, enge holprige Gasse, Toreinfahrt, Innenhof. Motor aus.
Er schnauft durch, dehnt den Rücken, reibt sich das Gesicht.
Gegenüber geht eine Tür auf und zwei Frauen kommen heraus, die eine in unserem Alter, die andere könnte ihre Mutter sein. Die junge hat hellrot gefärbte Haare.
Er steigt aus und geht ihnen entgegen. Sie nehmen sich in die Arme und halten sich minutenlang fest. Ob etwas gesprochen wird, kann ich nicht beurteilen. Dann löst sich die Rothaarige aus dem Knäuel und kommt zum Auto. Ich steige auch aus und sie strahlt mich mit den gleichen eisblauen Augen an, die Miloš auch hat.

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