30. Mai 2016

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„Ich kann ja froh sein, dass du nichts von Messerspitze wusstest, sonst hättest du dich womöglich an meine Messer vergriffen“, grinse ich. „Nein, es ist nicht schlimm. Der Geschmack wird natürlich intensiver als beabsichtigt. Und wenn du ab jetzt immer so bemisst, wird es ein teurer Spaß. Aber mach da mal weiter. Soll ich was kochen?“
„Nein, du kannst ein Käsebrot essen. Ich brauche Platz und Ruhe.“
Oha. Der Künstler wünscht nicht gestört zu werden.
Rein theoretisch sollte es klappen mit dem Kuchen. Backrezepte haben meist sehr präzise Angaben. Fünfhundert Gramm Mehl sind fünfhundert Gramm Mehl, da muss man nichts ausprobieren. Dagegen „mit Salz und Pfeffer abschmecken“ ist keine Mengenangabe, sondern ein Erfahrungswert.

Nach einer Stunde duftet das ganze Haus nach Vanille. Miloš holt die Form aus dem Ofen, fährt mit einem Messer innen an der Kastenform entlang, um den Kuchen abzulösen (das muss er bei jemand anderem gesehen habe, ich mache das nicht) und legt ihn auf eine Glas­platte.
Als er abgekühlt ist, koche ich Kaffee und wir setzen uns an den Tisch.
Er schneidet den Kuchen an und beobachtet kritisch, wie ich das erste Stück teste. „Und?“
„Probier selber. Ist das gut?“
Er bricht von seinem Stück etwas ab, steckt es in den Mund, kaut und schluckt. Währenddessen hellt sich seine Miene auf: voller Erstaunen stellt er fest, dass es schmeckt. „Es war ganz einfach!“, freut er sich.
„Und du hast das sehr gut gemacht!“, freue ich mich mit.

Gleich darauf nimmt er sein Mobiltelefon zur Hand und tippt darauf herum. Er wählt aber keine Nummer, das Tippen dauert viel zu lange.
„Was machst du da?“, frage ich.
„Ich berichte Xavier.“
„Kann dein Handy eigentlich auch mit Internet und so?“
„Kann der Sprachlehrer eigentlich auch mit Grammatik und so?“
„Sehr witzig.“
„Ja, es kann mit Internet und so. Warum fragst du?“
„Es sieht ganz anders aus als das von Merle.“
Ein Signalton unterbricht mich, er liest vor: „Ich soll dich fragen, warum du nicht auf die Idee gekommen bist, dass ich es mal mit backen versuchen könnte.“
„Weil sich die Person, mit der ich vor dir sehr lange zusammen gewohnt habe, furchtbar aufgeregt hat, als ich ihr die Idee unterbreitet habe. Sie hat mich beschuldigt, ich könnte nicht akzeptieren, dass sie einfach kein Talent hat für Küchensachen. Und warum es mir nicht genug sei, dass ich mich damit auskenne, dass sie mir erst beweisen müsste, dass sie es nicht kann und lauter so Freundlichkeiten. Das wollte ich nicht noch einmal riskieren.“
„Tja“, macht Miloš. „Vielleicht könntest du deine schlechten Erfahrungen in Zukunft beiseite schieben. Es scheint ja so zu sein, dass wir ein bisschen unterschiedlich sind.“
„Aber nur ein klitzekleines bisschen. Zum Glück!“, lache ich.

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