30. Mai 2016

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„Dieses Seltsame hört nur auf, wenn du ihn im ganz normalen Alltag anziehst. Wie gesagt, er steht dir ausgezeichnet und eines Tages wirst du das Gefühl von dem Stoff auf deiner Haut lieben. Geh rauf, zieh dich um.“
„Ist der nicht viel zu teuer, um damit auf dem Sofa rumzugammeln?“
„Ist er. Zieh ihn trotzdem an.“
„So richtig, mit allem? Auch die Schuhe und den Schlips und alles?“
„Alles.“
Ich tue wie mir gesagt wird. Nur das mit dem Schlips klappt nicht. Ich gehe wieder nach unten in den Wohnraum.
Miloš sitzt auf dem Sofa. „Schwiegermuttertraum“, grinst er.
„Ist das ein Kompliment?“
„Ja. Nimm bitte die Hände aus den Taschen. Hast du die Krawatte absichtlich vergessen?“
„Nee. Die ist hier.“ Ich nehme das Bündel aus der Jackentasche. „Ich kann das nicht.“
„Dann musst du es lernen. Komm mit.“
Ich folge ihm ins Bad und er zeigt mir vor dem Spiegel, wie der Knoten zu schlingen ist, damit er richtig aussieht. Ich mache es nach und er zieht ihn sofort wieder auseinander.
„He!“, beschwere ich mich. „Der war doch gut!“
„Nein. Er war schief. Mach noch einen.“
Ich knote einen neuen und er macht auch dieses Kunstwerk gleich wieder kaputt.
„Was soll denn das?!“
„Du bekommst nur Routine im Krawattebinden, wenn du es übst. Hör auf zu meckern und mach weiter.“
Den fünften Knoten kann ich endlich vor ihm retten, allerdings nur, weil ich längere Arme habe und er nicht auf die Idee kommt, mich in den Schwitzkasten zu nehmen.
Zurück im Wohnraum rufe ich Mommi an und teile ihr mit, dass wir uns vertragen haben, aber trotzdem nicht mehr kommen werden. Sie dankt für die Information und wünscht einen schönen Abend.
„Warum hast du abgesagt?“
„Weil ich heute nicht mehr raus will.“
„Und wenn ich raus wollte?“
„Dann rufst du sie an und sagst ihr das. Bitteschön.“ Ich werfe ihm den Telefonhörer zu.
„Aber was willst du den Rest des Tages machen?“
„Nichts.“
„Das ist aber langweilig.“
„Du musst ja nicht mitmachen!“ Ja, ich bin immer noch sauer. Es tut ihm leid, gut. Aber wird er was dran ändern?
Brummend geht er mit dem Telefon in sein Zimmer. Kurz darauf verlässt er das Haus.


hundertfünfundvierzigstes Kapitel

Glücklicherweise habe ich mir gestern nicht viele Falten in meine neuen Sachen gesessen, sodass ich sie anziehen kann, ohne dass es dumm aussieht.(255) Im Gemeindezentrum Zwaagse Straat kennt mich ja auch niemand – noch! – und ich kann üben, mich im Anzug wohlzufühlen. In der Öffentlichkeit ist das was anderes als daheim auf dem Sofa.
Im Gegensatz zu letzter Woche bin ich heute schon beim frühen Gottesdienst anwesend. Und ich bin zeitiger dran und wähle meinen Sitzplatz mit etwas mehr Sorgfalt aus. Ich frage zwar nicht alle, ob sie eine Übersetzung brauchen, aber immerhin setze ich mich da hin, wo schon ein Pulk junger Leute lagert. Das wird so falsch nicht sein.
Die Anbetungsband ist beim Soundcheck, was nur zur Hälfte gelingt, weil der Schlagzeuger fehlt. War er letzte Woche nicht auch erst in allerletzter Sekunde gekommen?
Ich frage den jungen Mann neben mir: „Was ist denn mit dem Trommler los?“

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