Wir gehen zu einem ruhigen Winkel(254) mit zwei Stühlen, Tisch und Getränken, und Ulric will von mir wissen, was ich arbeite, was meine Hobbys und meine Lieblingsfarben sind, zu welchem Anlass ich den Anzug tragen will, was ich sonst so trage und so weiter. Weil ich es zu Beginn des Gesprächs erlaubt habe, macht er sich Notizen.
Als wir schließlich mit dem praktischen Teil anfangen, steigt mein Puls wieder an. Aber Ulric macht das wunderbar. Er schiebt mich nicht hin und her und bedient nebenher noch ein paar andere Kunden, wenn ich für eine Entscheidung länger brauche, sondern er wartet geduldig auf meine Auswahl, gibt Tipps, holt immer neue Sachen, mault nicht herum und nimmt mich auf professionelle Weise ernst. Zwischendurch erkundigt er sich nach meinem Wohlergehen, fragt, ob ich etwas zu trinken möchte oder eine Pause einlegen und ich frage mich langsam, warum Klamottenkauf nicht immer so sein kann. Ich finde es auch gar nicht mehr schlimm, mich ständig an- und auszuziehen.
Irgendwann ist auch Miloš da. Er lehnt an einem halbhohen Schrank, nippt an seinem Mineralwasser und guckt mir zu, wie ich mich nicht entscheiden kann zwischen einem dunkelgrauen, einem braunen und einem marineblauen Jackett. Damit ich mich auf die Jacke konzentrieren kann, hat Ulric mir ein schwarzes Hemd gegeben.
„Nimm das graue“, sagt er.
„Aber das braune ist auch toll.“
„Nimm das graue.“
„Aber guck doch mal.“ Ich ziehe das blaue aus und das braune an.
„Nimm das graue.“
„Hast du einen Knick in der Platte?“
Er instruiert Ulric: „Bringen Sie bitte ein weißes Hemd“ und verschwindet in den Regalreihen. Zurück bringt er eine grüne Krawatte.
Okay, wie war das noch – drunter, drüber, drumherum?
Miloš nimmt sie mir wieder weg und knotet routiniert.
Der Knoten sitzt zu eng an meinem Hals und ich lockere ihn.
Er zieht ihn wieder fester, aber nicht so fest wie zuerst.
Nach dem weißen Hemd hat Ulric auch noch die passende graue Hose gebracht und ich ziehe sie an. „Perfekt“, sagt Miloš zufrieden. „Guck dich im Spiegel an. Was hältst du davon?“
„Ja“, sage ich. Das Grün ist nicht irgendein Grün, sondern es ist das Grün von hochwertigem Olivenöl, in das ein Sonnenstrahl fällt und wie von kleinen Goldfunken reflektiert wird. Ich glaube, es ist Seide. Der Stoff fühlt sich kühl an und weich und glatt.
„Ja mit Tendenz zu geht so?“, wünscht er Präzision, „Oder ja mit einer Begeisterung, die sich später entfalten wird?“
Ulric geht diskret ein paar Schritte beiseite.
„Eher so das hintere, aber ich weiß das ja alles nicht. Es ist so ungewohnt.“
„Fühlt es sich gut an?“
„Ich glaub schon. Also, das Grün hier, das ist toll.“
„Beweg dich ein bisschen. Passt das auch, wenn du dich bückst und streckst?“
Ich vollziehe ein paar gymnastische Übungen und das einzig knirschende sind meine Knie, aber das tun die immer. Miloš kommt zu mir, fasst den Stoff an, greift in die Taschen, streicht über die Schultern, öffnet die Anzugjacke und prüft die Verarbeitung. „Willst du ihn haben?“
„Was kostet er?“
„Nein, denk jetzt nicht über Geld nach. Wenn du ihn haben willst, kauf ihn. Wenn du nicht genug hast, gebe ich dir nächsten Monat meine dreißig Prozent. Er ist es wert, verstehst du? Erstens von der Qualität und zweitens, weil er dir wirklich sehr gut steht.“
„Brauche ich dann auch noch hundert andere Dinge?“
„Schuhe würde ich empfehlen“, grinsend nickt er zu meinen löchrigen Socken hinab, „übrigens ausschließlich schwarze, hast du gehört? Außerdem brauchst du Strümpfe, ein zweites Hemd und dringend einen zweiten Schlips. Der hier hat eine so starke Farbe, dass du ihn nicht zweimal hintereinander tragen solltest.“
„Und das zweite Hemd – muss das auch eine andere Farbe haben?“
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